Kriegsende in Monschau : Als die Historie in die Eifel einmarschierte
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Am Rand von Deutschland: in Monschau an der Rur entstand im September 1944 die erste amerikanische Militärregierung auf deutschem Boden Bild: Eilmes, Wolfgang
Im beschaulichen Eifelstädtchen Monschau war der Zweite Weltkrieg schon vor 70 Jahren zu Ende – Monate früher als im Rest von Deutschland. Und während anderswo noch gekämpft wurde, kehrte hier langsam der Alltag wieder zurück.
Die aberwitzigste Fußnote zum Ende des Zweiten Weltkriegs sprach an der Straße zum idyllischen Eifelstädtchen Monschau ein deutscher Soldat, der mit einer Maschinenpistole im Anschlag das Stück Westfront in der Nähe von Aachen bewachen sollte. Das war am 15. September 1944. Drei Tage zuvor waren die Amerikaner ins benachbarte Roetgen einmarschiert und hatten nach der Besetzung von Monschau kurz haltgemacht, weil einer ihrer Panzer in die Rur gerutscht war und aus den Wäldern ringsum heftig beschossen wurde. Kein Vorspiel zur sogenannten Ardennenoffensive von Hitlers Truppen am 16. Dezember, sondern Rückzugsgefechte der vor den Alliierten auf breiter Front zurückweichenden deutschen Landser.
Der einsame Soldat im Wäldchen bei Imgenbroich hatte Weisung, niemanden passieren zu lassen – auch die junge Frau nicht, die in der Morgendämmerung mit einem Säugling auf dem Arm ins Tal unterwegs war, um bei Verwandten in der Stadt Brot und Milch zu holen. „Halt“, rief der Soldat. „Keinen Schritt weiter! Da dürfen Sie nicht durch! Hier ist doch schon Frieden!“ Das klang wie eine Drohung.
Der Zweite Weltkrieg war verloren, und in der nördlichen Eifel war er tatsächlich schon am 15. September 1944 zu Ende. Schon wenige Monate nach ihrer Landung in der Normandie hatten die Alliierten die Westgrenze des Deutschen Reiches erreicht. Von Belgien her waren die amerikanischen Einheiten auf Monschau vorgerückt und hatten vom September 1944 bis Mai 1945 in Monschau die erste amerikanische Militärregierung auf deutschem Boden errichtet. Sie wurde von einem cleveren Rechtsanwalt aus Indianapolis und einem nicht minder umtriebigen Banker aus Chicago geführt und brachte das öffentliche Leben zügig in Schwung. Noch in den letzten Kriegswochen zum Beispiel öffnete die Kreissparkasse Monschau mit einer Einlage von 65.000 Reichsmark wieder ihre Schalter, gewährte großzügig Kredit und hatte, während auf den Höhen ringsum noch monatelang der Ausnahmezustand herrschte, ihren Kassenbestand bis zum Jahresende 1944 fast verdreifacht.
Der Lauf der Geschichte machte um Monschau einen Bogen
Kein Monschauer Einwohner, der im Zusammenhang mit dem überraschend frühen Kriegsende nicht zwei Sätze über den Namen der Stadt verliert. Sie hat von Anfang an Montjoie geheißen, geriet mal als Munjoje und Mongoten, auch als Monjowen und Moensawen in die Urkunden und wird gern auf lateinische Ursprünge zurückgeführt: Am beliebtesten sind Mons Joci, Mons Jovis oder Mons Gaudii – was auf jeden Fall eine Menge kunterbunte Lebensfreude signalisiert.
Kirmes ist in Monschau nicht alle Tage. Aber ein Hauch davon liegt in diesem Städtchen immer in der Luft. Auch am 15. September 1944 sei Kirmes gewesen, sagen die alten Monschauer, die sich als Rheinländer zur Selbstironie durchaus in der Lage fühlen. Dass Adolf Hitler Ehrenbürger der Stadt war, quittiert man mit Achselzucken. Als sich das nach Kriegsende rasch herumzusprechen begann, wurde ihm der Titel ohne viel Federlesens wieder aberkannt – wenn auch erst vier Jahrzehnte später. Das Protokoll über den Beschluss der Stadtratssitzung allerdings lag wie zur Wiedergutmachung stets griffbereit vorzeigbar im Aktenschrank der Stadtverwaltung.
Die Weltgeschichte, kein Zweifel, hat viele Menschenleben lang anderswo stattgefunden: in Aachen, Köln oder Trier zum Beispiel, aber doch nicht in Eifeldörfchen namens Menzerath oder Simmerath. Gewiss, Karl der Große habe sich einmal in Mützenich aufgehalten, und auch die Herkunft des Ortsnamens Kalterherberg scheint sich schlicht damit zu erklären, dass besagter Karl dort eine oder zwei bitterkalte Nächte verbrachte. Darüber hinaus jedoch hat der Lauf der Geschichte um das Feintuchweber-Städtchen im engen Tal der Rur einen bänglichen Bogen gemacht. Ziemlich zufällig, wie es scheint – und ohne Schuld der Monschauer selbst. Vielleicht war sogar der Kotau vor dem Führer ein Versehen. Konservativ war man durchaus, aber mit den Nationalsozialisten wollten die wenigsten zu tun haben.
Vor den Amerikanern wollte keiner fliehen
Drei Tage vor dem Anrücken der Amerikaner ordnete die SA-Kreisleitung die Evakuierung des Städtchens an und orderte mehrere Busse, mit denen die Einwohner nach Thüringen gebracht werden sollten. Alfred Krieger, der spätere Standesbeamte von Monschau, musste als Bub mit einer Glocke morgens um fünf durch die Straßen laufen, weil die Elektrizität ausgefallen war. „Alle wollten hierbleiben“, vermerkt eine Chronik. „Viele Männer gingen mit Rucksack und Gepäck in die Wälder. Ein Teil der Bevölkerung zog mit Sack und Pack das Rosental hinunter nach Widdau, Hammer, Dedenborn oder Neudorf, um bei nächster Gelegenheit zurückkommen zu können.“
In der Nacht zuvor, so berichtet die gleiche Quelle, hatten die Mitarbeiter der NSDAP-Büros sämtliche Akten und Fahnen zu Scheiterhaufen getürmt und in Brand gesteckt. Dann verließen sie die Stadt. So waren Nationalsozialismus und Evakuierung für die Einwohner nur Episoden. Im Monschauer Stadtarchiv sind die letzten Tage und Wochen des Zweiten Weltkriegs eindrucksvoll unpathetisch und mit wohltuend pragmatischem Blick zu Buch geschlagen.
Nachdem zum Beispiel die Hals über Kopf zurückweichenden deutschen Soldaten die Brücke in der Stadtmitte gesprengt hatten, blieb ein paar Tage lang nur ein Fußweg ans andere Ufer. Dann gab der Pfarrer das Mittelschiff seiner Kirche frei – und zumindest die amerikanischen Jeeps hatten freie Fahrt auf die heute noch begehbare Fußgängerbrücke.