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Kinder im Ausland : Aber Mutter weinet sehr

In die weite Welt hinein: Nur erleben viele Eltern inzwischen nicht mehr das glückliche Ende der Geschichte von „Hänschen klein“. Bild: ddp Images

Wenn der Nachwuchs flügge wird: Immer mehr Eltern ermuntern ihre Kinder, nach der Schulzeit ins Ausland zu gehen. Helfen soll das ihrer Entwicklung. Was aber, wenn sie dort bleiben?

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          Der Kummer erwischt sie, wenn sie nicht aufpasst. Weil ein Lied im Radio läuft, das ihre Tochter gerne mochte und das Erinnerungen auslöst. Wenn sie im Schrank auf ein vergessenes Kleidungsstück stößt. Oder morgens, beim Aufwachen, wenn der Kopf sich noch nicht richtig eingeschaltet hat, um die Gefühle in Schach zu halten. „Dann kommt die Leere im Bauch“, sagt Lotta W. Dieser ziehende Schmerz: „Mein Kind ist weg.“

          Julia Schaaf
          Redakteurin im Ressort „Leben“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          Dabei hatte sie gedacht, sie sei vorbereitet. Man weiß ja, wann der Nachwuchs 18 wird und das Abi ansteht. Lotta W. ist eine energische, selbstbewusste Person. Als alleinerziehende Mutter hatte sie immer eine innige Beziehung zu ihrem einzigen Kind. Eine Glucke war sie nie. Vielmehr ist die Achtundvierzigjährige überzeugt, dass es darauf ankommt im Leben, seine Träume zu verwirklichen. „Man sollte es wenigstens versuchen“, sagt sie. Nichts anderes hat sie ihrer Tochter vermittelt. Und weil es der Traum des Mädchens war, nach Hollywood zu gehen, um Filmschauspielerin zu werden, hat sie ihr Kind bestärkt und unterstützt. Wenn Bekannte die Augen verdrehten angesichts eines so riskanten, klischeebeladenen Unterfangens, wischte die Mutter die Bedenken zur Seite: „Es geht nicht nur darum, sich zu sichern. Es geht auch darum, herauszufinden, was in einem steckt und wer man ist.“

          Explodierende Zahl von Auslandsstudierenden

          Inzwischen hat die Tochter eine solide Ausbildung hinter sich, dreht erste Studentenfilme und lebt seit bald drei Jahren an der amerikanischen Westküste: 14 Stunden Flug und neun Zeitzonen entfernt. Vier Tage haben Mutter und Kind sich seitdem gesehen, mehr war nicht drin. W. arbeitet in der Gastronomie. Weil sie ihre Tochter finanziell unterstützt, reicht das Einkommen nicht für teure Tickets. W. mag ihren Job und hat einen großen Freundeskreis, inzwischen gibt es sogar einen neuen Mann. „Es ist nicht so, dass Mami weinend zu Hause sitzt“, sagt sie. Aber auf den Schmerz des Abschieds, auf die anhaltende Sehnsucht, auf dieses verzweifelte Aufbäumen der Mutterliebe sei sie nicht vorbereitet gewesen: „Das sind urzeitliche Gefühle.“

          „Hänschen klein“ in Zeiten der Globalisierung: Mittelschichts-Eltern, die das Beste für ihre Kinder wollen, schicken ihren Nachwuchs selbstverständlich ins Ausland. Schließlich gilt die Erweiterung des Horizonts als Bereicherung für die Persönlichkeit, Auslandserfahrungen und Fremdsprachenkenntnisse machen sich gut im Lebenslauf und verbessern die Berufschancen. Vom Schüleraustausch über „Work and Travel“ oder „Year Abroad“, vom britischen Internat über das Freiwillige Soziale Jahr in Lateinamerika oder fruit picking in Neuseeland bis zum Master respektive Doktor an einer renommierten Universität wo auch immer auf der Welt: Nicht nur, dass sich ein gigantischer Markt an professionellen Vermittlern und Organisatoren von Auslandsaufenthalten für junge Erwachsene etabliert hat. Die Zahl der deutschen Auslandsstudierenden ist in den vergangenen Jahrzehnten förmlich explodiert.

          1980 studierten nur knapp 20.000 Deutsche jenseits der Landesgrenzen, zur Jahrtausendwende war ihre Zahl auf immerhin 52 000 geklettert. 2012 lag sie bei knapp 140.000. Nach Berechnungen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung geht heute rund jeder Zehnte der 18- bis 33-Jährigen für mindestens einen Monat ins Ausland. Zugleich steigt die Zahl der jungen Männer und Frauen, die ihr komplettes Studium außerhalb von Deutschland absolvieren.

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