Keltengrab von Herbertingen : Das schwäbische Troja
- -Aktualisiert am

In dem Grab entdeckten die Forscher auch dieses Goldgeschmeide mit einem reich verzierten Anhänger. Bild: Felix Schmitt
Beinah wäre es von einem schwäbischen Bauern untergepflügt worden, nun legen Archäologen es mit Stachelschweinborsten frei: das Keltengrab von Herbertingen. Es ist etwa 2600 Jahre alt - und eine wahre Fundgrube für die Forscher.
Vorsichtig kratzt Joachim Lang mit einer Stachelschweinborste den dunklen Humus von einer Goldperle. Dann nimmt er den Spatel, trägt ein paar Textilfasern ab, nimmt zwei Pinsel, ganz vorsichtig, und präpariert das goldene Objekt frei. Lang arbeitet in einer Ludwigsburger Fabrikhalle an einer Sensation. Es ist ein 2600 Jahre altes Grab aus der Hallstattzeit (800 bis 450 vor Christus). 80 Tonnen wiegt das Grab. 3,60 mal 4,50 Meter maß die Eichenholz-Grabkammer, als die keltische Fürstin dort bestattet wurde - etwa 590 Jahre vor Christus.
Fast hätte das Grab ein oberschwäbischer Bauer aus dem ein Kilometer entfernten Herbertingen untergepflügt, Teile des Grabes waren nur von 30 Zentimetern Ackerboden bedeckt. 2005 legten die Archäologen ein Kindergrab mit einer „Rettungsgrabung“ frei, dann entdeckten sie 2010 das größere Grab der Keltenfürstin. Der Fundort der „Bettelbühl-Nekropole“ liegt zwei Kilometer südlich des Burgbergs der Heuneburg, des ältesten und am besten erhaltenen frühkeltischen Fürstensitzes in Deutschland.
Die Heuneburg ist gut erforscht, über die Grabhügel dagegen wusste man bis vor wenigen Jahren so gut wie nichts. In der Nachkriegszeit konzentrierten sich die Archäologen vor allem auf das Burggelände. Eine bedeutende frühkeltische Siedlung findet sich auch auf dem Berg Ipf im Osten der Schwäbischen Alb sowie auf dem Hohenasperg bei Ludwigsburg. Baden-Württemberg gehört zum früheren frühkeltischen Kerngebiet, das sich einst vom Burgund bis zu den fränkischen Teilen Bayerns erstreckte.
Zur archäologischen Aufarbeitung ließ das Landesamt für Denkmalpflege das derzeit älteste frühkeltische Fürstinnengrab komplett in die schmucklose Industriehalle in Ludwigsburg bringen. Allein die in dieser Form in Deutschland einmalige „Blockbergung“ kostete 100.000 Euro. Auf den ersten Blick sehen die Gräber der Fürstin und des Mädchens wie ein großes Stück dunkler, lehmiger Waldboden aus. Nur an einigen Stellen schimmern gerippte goldene Röhrenperlen und ein Bernsteinring durch den Humus. Die Restauratoren haben alle Fundstellen mit weißen Zetteln versehen. Nicole Ebinger-Rist, die Restauratorin, und ihr Kollege Joachim Lang, nähern sich den Resten dieser in den vergangenen zwei Jahrtausenden zusammengefallenen Eichenholzgrabkammer vorsichtig auf Hebebühnen.
Dirk Krausse hält einen kleinen Laserpointer in der Hand. Der rote Lichtpunkt wandert über den schwarzen Boden. Ein rötlich-brauner Fleck ist der Rest eines Oberschenkels der Fürstin. Daneben liegen drei Armringe aus fossilem Ölschiefer oder schwarzem Bernstein. Krausse, habilitierter Archäologe, ist Baden-Württembergs oberster Landeskonservator. Normalerweise kümmert sich ein Landeskonservator um Rettungsgrabungen. Wenn Arbeiter beim Straßenbau auf eine mittelalterliche Burgmauer stoßen, schaut der Landeskonservator auf den Denkmalschutz. Nicht alle Tage bietet sich da die Chance, Wissenschaftsgeschichte zu schreiben.
Dirk Krausse hat diese Chance nun. Denn das Keltinnengrab ist ein bemerkenswerter Fund. „Die Bezeichnung schwäbisches Troja ist vielleicht gar nicht so blöd, denn es gibt kaum einen anderen archäologischen Fund in Zentraleuropa, der für die Erforschung der Geschichte des frühen Keltentums so bedeutend sein könnte“, sagt Krausse. Normalerweise sind archäologische Fundstätten in Deutschland wesentlich schlechter erhalten. Die meisten Gräber wurden im Laufe der Jahrhunderte ausgeraubt.
Die Herbertinger Gräber sind vermutlich älter als das im Jahr 1978 geborgene Hochdorfer Keltenfürstengrab. Auch bei dem Fürstinnengrab handelt es sich um ein Prunkgrab, gut ausgestattet mit Grabbeigaben aus Bronze, Bernstein und Gold. „Es war eine große Überraschung, in einer so peripheren Lage ein so großes Grab zu finden“, sagt Krausse. „Zunächst waren wir froh, die Hölzer zu haben, dann haben wir noch die Goldfunde gemacht.“ Der gute Zustand der Gräber hat einen Grund: In der Nähe der Gräber fließt der Bettelbühlbach. Jede Überschwemmung befeuchtete die Grabkammern und dichtete sie luftdicht ab. Deshalb ist das Eichenholz so gut erhalten, dass sich mit Hilfe der Jahresringe das Alter der Bäume bestimmen lässt. Die Archäologen stellen nun dendrochronologische Untersuchungen an, um das Alter des Grabes genau zu bestimmen.