Vampire : Unser dunkler Bruder
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Die Vampire sind schon lange unter uns, in der gesamten populären Kultur. Gerade haben sie wieder Konjunktur, dank der „Twilight“-Reihe. Was fasziniert uns so an den untoten Beißern?
Es ist wolkig, wie eigentlich immer in der kleinen Stadt. Der scheue Vampir Edward hat endlich den Mut gefunden, Bella seine Welt zu zeigen. Er nimmt sie in seine Arme und rennt mit ihr durch den Wald auf eine Lichtung. Dort bricht die Sonne durch, und Edwards bleiche Haut beginnt wie mit feinem Diamantstaub besetzt zu funkeln. Bella kann kaum fassen, wie schön er ist.
Der Priester kniet, vor ihm liegt seine Geliebte, die gerade ihr Leben ausgehaucht hat. Mit seinen Fangzähnen öffnet er die Venen seiner Hand und lässt Blut in ihren Mund tropfen. Sie erwacht, zum Vampir geworden, und schlägt gierig die neuen Fänge in sein Handgelenk, während er nach ihrem Arm greift, um ebenfalls zu trinken. Sie saugen aneinander in einem geschlossenen System gegenseitiger Benutzung: ein Teufelskreis.
Entsagung ist ein hohes Gut
Der Tag bricht an. Ein junger Mann steht an der Brüstung eines Hochhausdaches, seine Brust ist entblößt, in seinen Zügen liegt stille Verklärung. Die ersten Sonnenstrahlen wandern den Dachfirst entlang; als sie die Haut des jungen Mannes erreichen, beginnt sie zu qualmen; einige Sekunden später ist nichts mehr übrig von Gondrik, dem uralten Vampir. Er ist ins Licht gegangen.
Drei Szenen, drei zeitgenössische Vampirbilder. Die erste Szene stammt aus der "Twilight"-Reihe der mormonischen Autorin Stephenie Meyer, deren deutsche Buchtitel das "Bis(s)" variieren: "Bis(s) zum Morgengrauen" und dergleichen. Millionen Teenager auf der ganzen Welt verfolgen, inzwischen auch im Kino, wie sich die durchschnittliche Bella Swan in den überirdisch schönen Edward Cullen verliebt, der ihre Liebe zwar erwidert, deren fleischliche Erfüllung jedoch aus Angst um Bellas Leben bis in den vierten und letzten Band hinein verweigern muss. Entsagung ist ein hohes Gut in Stephenie Meyers Welt und Triebsublimation für alle Beteiligten oberstes Gebot. In "Twilight" sind Vampire die besseren Menschen, und es ist nur logisch, dass Bella nach langem Ringen als eine der Ihren aufgenommen wird.
Der Vampir als strahlender Übermensch
Die zweite Szene entstammt dem Film "Thirst/Durst" des koreanischen Regisseurs Park Chan-wook, mit dem er 2009 in Cannes den Preis der Jury gewonnen hat; darin verwandelt sich der katholische Priester Sang Hyun nach einer missglückten Bluttransfusion in einen Vampir. Die dritte Szene schließlich ist ein Ausschnitt aus der amerikanischen Fernsehserie "True Blood", in deren Mittelpunkt die Beziehung zwischen der telepathischen Kellnerin Sookie Stackhouse und dem Vampir Bill Compton steht. "True Blood" ist synthetisches Blut; seit dessen Erfindung sind die Vampire ans Licht der Öffentlichkeit getreten und fordern ihren Platz in der Welt. Die Grenze verläuft nicht mehr zwischen Schwarz und Weiß, sondern zwischen Vampiren und Sterblichen. Es geht um Rassismus, Sex und andere Fragen des Zusammenlebens, und das mit fein gezeichneten Charakteren, klugen Plots und postkapitalistischer Sinnlichkeit.
Der Vampir als strahlender Übermensch, als tragischer Held oder als Erlöserfigur ist vor allem eines: Projektionsfläche für unsere geheimen Ängste und Begierden. Anhand seiner speziellen Conditio werden Grundthemen der menschlichen Existenz verhandelt: Sexualität, Schuld und Sterblichkeit. Doch dieser Tage scheint das Genre förmlich zu explodieren: Bücher, Filme, Internetcommunities - die Blutsauger sind überall. Warum nur?
Das ist bis heute der Kern des Vampirmythos
Die Geschichte der Vampire beginnt mit der Furcht vor dem Unerklärlichen - Krankheiten, Missernten und Unglück aller Art. Dafür suchte man Schuldige. In Deutschland gab es schon vom vierzehnten Jahrhundert an die Legende von den Nachzehrern - unholden Toten, die, aufrecht im Grab sitzend, den Hinterbliebenen die Lebenskraft absaugten. Das ist bis heute der Kern des Vampirmythos: Ein Wesen, das zu wenig eigene Energie besitzt, ist gezwungen, sie von anderen zu stehlen. Der Mensch muss sterben, der Untote muss morden. Doch bis zu dem moralischen Dilemma, das dem modernen Gentleman-Vampir eben daraus erwächst, ist es ein langer Weg.