Opfer der Stasi : Im Stasi-Gefängnis wie ein Hund herumkommandiert
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Bild: Monika Aichele
Jaqueline Phillip versuchte mit 19 Jahren zum ersten Mal mit ihrer Freundin aus der DDR zu flüchten. Jeder hat jeden verraten.
Mit einem fliegenden Teppich wollte ich über die Mauer!“ Jaqueline Phillip sitzt mit einer Tasse Kaffee vor dem Fenster. Für einen Moment ist es still, und sie schaut nachdenklich auf die Straße. Ihr braun-blondes Haar glänzt im Schimmer der Lampe golden. Phillip war schon früh entschlossen, aus der DDR zu flüchten. „Im Osten? Was für Gedanken ich da hatte? Na, bloß weg hier!“ Ein großes Problem stellte für sie die Staatssicherheit dar. „Jeder, nicht nur ich war im Visier. Jeder. Wenn du in einem Haus gewohnt hast, waren zwei, drei deiner Nachbarn von der Stasi. Jeder hat jeden verraten. Die Staatssicherheit wusste über alles Bescheid.“ Das Ministerium für Staatssicherheit diente als Geheimpolizei und zur Überwachung der Bürger der DDR. Tatsächlich hatte die Stasi 1989 etwa 91 000 hauptamtliche und 174 000 informelle Mitarbeiter. Im Laufe der DDR-Zeit beschäftigte sie laut Birthler-Behörde mindestens 600 000 Mitarbeiter. Die allgegenwärtige Präsenz der Stasi erlebten die Phillips früh mit. Als die Schwester von Jaqueline Phillip als Jugendliche mit Kreide einen Witz über Erich Honecker an eine Wand schrieb, gab es kurz darauf eine Razzia in ihrer Wohnung in der Gaudystraße in Ost-Berlin. „Die Stasi hat in der Schule die Schrift abgeglichen, um den Täter zu finden. Das war keine schöne Zeit mit denen.“
Ungarn als Chance
Im Jahr 1989 versuchte die damals 19-Jährige das erste Mal, mit einer Freundin zu flüchten, wurde aber bei den Sicherheitskontrollen am Flughafen Schönefeld aufgehalten. Ungarn war für die meisten DDR-Bürger ein beliebtes Reiseziel und für viele eine Chance, in den Westen zu gelangen, da die Grenzen durch wachsende Oppositionsgruppen schon im Mai des Jahres durchlässiger wurden. Nun konnten DDR-Bürger in bundesdeutschen Botschaften wie in Prag, Warschau oder Budapest Zuflucht suchen. „Wir wollten nach Ungarn und da dann zum West-Konsulat.“ Doch bei der Durchsuchung am Flughafen wird Verdacht geschöpft. In den Jahren zuvor hatte Phillip Ost- gegen Westmark mit Besuchern aus der Bundesrepublik Deutschland getauscht, bis sie genug für ihre Flucht zusammenhatte. „Die haben das Geld gefunden, das ich vorher versteckt habe. Meine Mama hatte mir das in mein Haarband eingenäht, und meine Freundin hatte es in den Schuhen.“ Phillip und ihre Freundin werden wegen Devisenschmuggels verhaftet und verhört.„Sie haben uns gefragt, was wir mit dem ganzen West-Geld machen wollen.“ Das Verhör wird über mehrere Stunden in der Polizeidienststelle in der Keibelstraße in Berlin-Mitte geführt. „Da saß ich dann für Stunden und hab mit denen diskutiert, wollte ja nicht die Wahrheit sagen. Dann kam plötzlich der Zettel von meiner Freundin rüber, und die hat alles verraten. Von da an sind wir dann richtig in den Knast gekommen.“ Die beiden Jugendlichen kommen in die Untersuchungshaftanstalt in Berlin-Pankow. „Und dann gab es alle zwei Tage ein Verhör.“ Wild gestikulierend beschreibt Phillip die Einrichtung ihrer Zelle. „Aus den Betten konnte man Tische rausklappen, um zu essen. Das Essen kam immer durch die Luke in der Tür.“ Noch heute hat sie das Verhalten der Gefängniswärter im Kopf. „Im Gefängnis bist du nur eine Nummer für die Wärter. Da wirst du unmenschlich behandelt und wie ein Hund herumkommandiert.“
Heimlich aufgenommene Bilder
Obwohl der Vernehmer ihr während des Verhörs ordnungsgerecht Zigaretten und Wasser anbot, stellte sie sich quer. „Da habe ich die Zigaretten vom Vernehmer geraucht und gesagt: ,Mit Ihnen rede ich nicht mehr.‘“ Auch hier zeigen sich die Überwachungs- und Spionagemethoden der Stasi. Der Beamte zeigte Phillip während des Verhörs heimlich aufgenommene Bilder von ihr und ihren Bekannten an allen möglichen Orten. Nach drei Monaten wurden sie schließlich unter bestimmten Auflagen und während des laufenden Verfahrens entlassen. Doch auch nach ihrem Gefängnisaufenthalt kann sie nichts davon abhalten, ihre zweite Flucht nach Tschechien im Sommer 1989 zu planen. Ihre Freundin ist anfangs allerdings skeptisch. „Komm, jetzt pack die Klamotten, sonst muss ich dir Postkarten schicken, wenn ich im Westen bin. Das hat sie dann überzeugt.“ Phillip lacht. Dieses Mal erreichen die Mädchen ohne Komplikationen die bundesdeutsche Botschaft in Prag mit der Bahn, wo sie direkt zu dem dortigen Auffanglager gebracht werden. Die geflüchteten DDR-Bürger haben nun die Möglichkeit, mit Bussen und der Bahn nach Westdeutschland zu fahren. „Ich krieg das irgendwie nicht mehr zusammen. Nach Hannover sind wir gefahren, und kurz danach ist die Mauer schon gefallen. Da hatte ich meinen Papa angerufen, da sagte er mir, die Mauer sei offen und meine Mutter säße schon bei denen im Westen.“
Sie leiden an Angststörungen
Doch auch nach dem Mauerfall am 9.11.1989 leben, so der Berliner Arzt und Psychotherapeut Karl-Heinz Bomberg, noch rund 300 000 ehemalige Betroffene mit den Folgen der dauernden Überwachung und Spionage in der DDR. Bomberg behandelt Patienten, die den Methoden der politischen Verfolgung ausgesetzt waren. Sie leiden oft immer noch an Angststörungen, Depressionen oder einer posttraumatischen Belastungsstörung. Auch Jaqueline Phillip fühlt sich noch heute überwacht und ertappt sich häufig beim Ausschauhalten nach Überwachungskameras in der Öffentlichkeit. „Na, auch dein Ding hier.“ Sie zeigt auf das Aufnahmegerät. „Da steckt das Misstrauen schon tief in mir drinnen, immer abgehört zu werden.“