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Minimalistisch leben : Entsorgt und befreit

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Du besitzt nicht die Dinge, die Dinge besitzen dich, sagt Esther Stark. Sie bezeichnet sich als Minimalistin und wirbt dafür, sich von viel zu vielen Kleidern, Gegenständen und überflüssigem Ballast zu trennen.

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          Eine Pflanze auf der Fensterbank, gerahmte Fotos an der Wand, ein Schrank mit Kisten und Kästen. Nach wenigen Dingen sieht es nicht aus bei Esther Stark, die beim Skype-Gespräch mit Kopfhörern im hessischen Münzenberg sitzt. Sie schmunzelt: „Jaja. Der Minimalist hat nur noch, was in einen Rucksack passt, und er lebt in einer weißen Wohnung ohne Möbel.“ Sie kennt das typische Bild von einem Minimalisten gut, sie selbst wurde schon damit verglichen. Diese Stereotypisierung findet die 37-jährige Projektleiterin, die seit fünf Jahren minimalistisch lebt, trotzdem nervig. Für sie ist Minimalismus nicht nur das Reduzieren von Gegenständen, sondern „eine Befreiung von Ballast“ – sowohl materiell als auch im übertragenen Sinne. Vor fünf Jahren war es so weit: Der zweite Kleiderschrank war voll, es stand im Raum, einen dritten anzuschaffen. Doch Esther Stark merkte, dass sich das für sie falsch anfühlte, und begann auszumisten. „Ach, wieder etwas weg! Mit jedem Teil, das meine Wohnung damals verlassen hat, war das wie eine Last, die von meinen Schultern gefallen ist.“ Das höre sich zwar komisch an, sei aber wirklich wie eine Befreiung gewesen.

          Frankfurter Stammtisch

          Neben dem Ausmisten hat sie sich mit dem gedanklichen Aufräumen beschäftigt. Das Pendeln, der Bürojob, es war Zeit für einen Tapetenwechsel. Stark trat eine neue Stelle als Projektleiterin in der Branche der Mess- und Regeltechnik an, die ihr die Möglichkeit gab, freier ihre Ideen umzusetzen. Sie arbeitet mit an dem größten Fernwärme-Projekt Westeuropas. Außerdem beendete sie die Freundschaften mit Menschen, deren negative Grundhaltung ihr nicht gutgetan hat. Generell waren ihre Freunde nicht begeistert von der Idee eines minimalistischen Lebens, hätten sie aber „machen lassen“. Ihre Schminkutensilien hat sie beispielsweise um 30 Prozent reduziert, heute reichen ihr sechs Nagellackfarben. Alte Knöpfe oder Handtücher wurden entsorgt oder verschenkt. Wenn Esther Stark heute in der Stadt einkaufen geht, überlegt sie vor jedem Kauf ganz genau, ob sie diesen Gegenstand wirklich braucht. Ihr wichtigster Gegenstand sei ihr Notizbuch, in das sie jeden Morgen ihre Gedanken einträgt.

          All das schenke ihr Lebensfreude und Zeit. Ihr neuer Lebensstil ermöglicht es ihr, interessante Menschen kennenzulernen. Besonderen Spaß bereitet ihr die Teilnahme am Minimalismus-Stammtisch in Frankfurt. Corona lässt dieses Treffen noch einmal minimalistischer werden: Aufgrund der Pandemie gibt es einen Video-Stammtisch von Minimalisten aus ganz Deutschland – „wobei, Deutschland stimmt nicht, wir haben nämlich auch Österreicher dabei“, schiebt sie schnell hinterher. Ihr Credo zum Nachdenken an alle Nichtminimalisten: „Du besitzt nicht die Dinge, die Dinge besitzen dich!“ So gern Esther Stark sich über das Thema austauscht, so wenig möchte sie es jemandem „überstülpen“. Mit ihrem Freund lebt sie mittlerweile zusammen. Für sie ist ganz klar, „dass man seinem Partner das nicht aufzwingen sollte, sonst geht das in die Hose“. Der Minimalismus sei ihre Sache, und in „ihrem Bereich“ lebt sie auf diese Art und Weise. Vom Gegenstände-Zählen distanziert sie sich. Sie möchte sich keinem Wettbewerb getreu dem Motto „Je weniger ich habe, desto besser bin ich oder desto mehr bin ich Minimalist“ aussetzen.

          Auf Youtube gibt sie Tipps

          Für sie gibt es verschiedene Typen. Da gibt es den „extremen“ Minimalisten: Er möchte sich selbst unterbieten und lebt mit so wenigen Gegenständen wie möglich. Es gibt aber auch den Minimalisten, der sich seinen Wohnort flexibel aussuchen möchte und deshalb wenig Gepäck bei sich trägt. Oder den, der einfach sein Leben vereinfachen möchte. So fällt vor einem minimalistischen Kleiderschrank die Frage nach dem Outfit für den Tag nicht sonderlich schwer. Solchen Fragen und zur Nachhaltigkeit geht Esther Stark auf ihrem Internetblog „EstherLovesLife“ und dem gleichnamigen Youtube-Kanal nach. In ihren Beiträgen gibt sie einfache Tipps, wie das Reduzieren der eigenen Habseligkeiten gelingt oder welche Fehler man vermeiden sollte. Aber auch Buchempfehlungen oder persönliche Erfahrungen, wie ihre Teilnahme an der LowBuy-Challenge, einer sich selbst gestellten Aufgabe, bei der man versucht, so wenig wie möglich zu kaufen, werden thematisiert. Sie freut sich über Resonanz. Das Wichtigste in ihrem Leben bleiben aber ihre liebsten Menschen und das mit ihnen verbrachte Jetzt.

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