Mentorenprojekt für vernachlässigte Kinder : Endlich einmal Kind sein dürfen
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Bild: Moni Port/ Labor
„Balu und Du“ heißt ein Verein junger Mentoren, die sich um benachteiligte Grundschulkinder kümmern, mit ihnen zum Seifenkistenrennen gehen und ihnen Zeit schenken. Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet und macht Schule.
Das Duell: Ferrari gegen Möhre. Die liebevoll gestalteten Seifenkisten rollen zur Startrampe. Beti, der Zehnjährige im roten Flitzer, klappt das Visier des schwarzen Motorradhelms herunter. Startklar! Ronja Bunke macht schnell ein Foto. Zusammen mit Beti verbringt die 23-jährige Studentin aus Osnabrück ihren freien Samstag beim Seifenkistenrennen. Ronja ist nicht seine Schwester, sondern sein „Balu“ – und Beti ist ihr „Mogli“.
Angelehnt an die Geschichte aus dem Dschungelbuch hat der Verein „Balu und Du“ in Kooperation mit der Universität Osnabrück und der Caritas ein gleichnamiges Programm zur Förderung benachteiligter Grundschulkinder entwickelt. Das Konzept: Kinder, die Probleme im sozialen Umgang haben, bekommen einen verlässlichen Tutor, einen „Balu“, mit dem sie sich ein Jahr lang jede Woche treffen. Wie in der Urwalderzählung, wo der gemütliche Bär Balu sich des verirrten Menschenkinds Mogli annimmt, sollen Balus und Moglis eine ganz natürliche Freundschaft entwickeln, die Selbstbewusstsein, Kreativität und Sozialkompetenz der Kinder stärkt.
Die Balus treffen sich an der Uni
Ronja und Beti haben schon viel zusammen unternommen. Sie waren in der Eishalle, haben ein Kaleidoskop gebastelt, Pfannkuchen gebacken und eine Ausstellung zum Thema Umwelt besucht. Ronja konnte Beti auch überreden, das Seepferdchen zu machen. Erst war es dem Zehnjährigen peinlich, in seinem Alter noch die Prüfung zu machen. Jetzt geht er gerne ins Schwimmbad und prahlt: „Ich hab’s sogar geschafft, einen richtigen Salto vom Sprungbrett zu machen.“
Dieses Erlebnis hat Ronja in ihrem „Balu-Tagebuch“ aufgeschrieben, so wie sie jedes Treffen protokolliert. Ein professioneller Pädagoge, der das Projekt „Balu und Du“ begleitet, liest mit. Im Rahmen eines begleitenden Uni-Seminars trifft Ronja jede Woche zwanzig andere Balus. Gemeinsam verarbeiten die Studierenden ihre Erlebnisse. Als die Familie eines Jungen nach England auswanderte, stellte sich die Frage, wie man ihm die Angst vor dem Umzug nehmen könnte. Manche Situationen werden zu echten Herausforderungen für die Studenten, die mehrheitlich aus den Erziehungswissenschaften kommen. Nur vereinzelt gibt es fachfremde Teilnehmer.
Talente der Kinder wecken
Bemerkenswert ist, dass neunzig Prozent der Mentoren weiblich sind. Die Jungs freuen sich immer besonders, wenn sie einen männlichen Balu bekommen. Das hat auch Ronja erfahren. Als Beti merkte, dass nicht nur Studentinnen Balus werden, hat er gesagt: „Oh, ich hätte auch gerne einen Mann als Balu.“ Dann fiel ihm wohl auf, dass das nicht so höflich war, erzählt Ronja, denn er fügte hinzu: „Am liebsten hätte ich zwei Balus. Dich und einen Mann.“ „Ich glaube, wir lernen auch ganz viel bei dem Projekt“, mutmaßt Ronja, die Kunst und Mathematik auf Lehramt studiert.
Tatsächlich belegt eine wissenschaftliche Studie, dass die Teilnahme an dem Projekt einen positiven Einfluss auf die Persönlichkeit der Mentoren hat. „Mentorenprojekte gibt es schon seit der Antike, ‚Balu und Du‘ aber hat einige neue Ansätze“, erklärt Hildegard Müller-Kohlenberg, die Initiatorin des Projekts: „Die Mentoren gehen nicht nach einem Curriculum vor, sondern nach dem Lebensalltag.“ Das Projekt versteht sich nicht als Therapie, vielmehr sollen die Talente der Kinder geweckt werden. In der freundschaftlichen Beziehung mit ihrem Balu bekommen die Kinder viele Anregungen, sei es zur Freizeitgestaltung, zum adäquaten Verhalten oder zur Umsetzung eigener Ideen. „Wir stellen immer wieder fest, dass die Kinder aufblühen und sich phantastisch entwickeln“, sagt Müller-Kohlenberg. Die Professorin für Sozialpädagogik etablierte das Projekt vor sechs Jahren an der Universität Osnabrück. Mittlerweile genießt die 68-Jährige ihren Ruhestand, für „Balu und Du“ aber engagiert sie sich weiterhin. Der Pilotdurchgang startete mit vier Balu-Pärchen, 2008 waren es einhundert – allein in Osnabrück.
Inzwischen machen 25 Städte mit