Leben mit Gehörlosigkeit : Beim Essen fällt kein Wort
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Bild: Andrea Koopmann
Wenn sich Familie Pflugfelder mittags um den Tisch in ihrem Fachwerkhaus versammelt, wird eifrig kommuniziert. Und zwar mit Mimik und Gesten, denn die Mutter und ein Kind sind gehörlos.
In dem idyllischen Ort Wabern in Nordhessen wird ein schönes Fachwerkhaus von der fünfköpfigen Familie Pflugfelder bewohnt. Kommunikation findet nur über die Hände und die Mimik statt. Katrin Pflugfelder ist gehörlos, ebenso Lucas, eines der drei Kinder. Christian Pflugfelder wuchs mit Gehörlosen auf, auch wenn er hören kann. Sowohl seine Eltern als auch seine Großeltern sind gehörlos. Er kennt ihre stille Welt. Auch Hannah, die dreizehnjährige Tochter der beiden, und ihr kleiner Bruder Manuel können hören. Dennoch fällt beim Abendessen kein Wort. In Gebärdensprache wird ausgelassen über die Geschehnisse des Tages berichtet. Fröhliches Lachen erfüllt den Garten.
Gebärdendolmetscher bei Phoenix
Für Christian Pflugfelder ist die Familie der Mittelpunkt und sein Lebensglück, aber er ist auch einer der gefragtesten Gebärdendolmetscher Deutschlands. Dies bringt einen oft stressigen Alltag mit sich. Ein vielseitiges Spektrum an Klienten nimmt seine Dienste als Dolmetscher in Anspruch. Dass er so beliebt ist, liegt unter anderem vermutlich an seiner ruhigen und verständnisvollen Art. Seine Augen werden ständig von vielen Lachfalten umspielt. Der große, dunkelhaarige Mann wirkt zuversichtlich bei allem, was er tut. Er reist regelmäßig nach Bonn, denn er ist einer von fünf Gebärdendolmetschern, die für den Sender Phoenix die deutsche Tagesschau live übersetzen. Interessant sind die Gebärden, die er für verschiedene Politiker verwendet. Das Zeichen für Angela Merkel beispielsweise leitet sich von der Gebärde des Wortes „merken“ ab, ein Berühren der Stirn mit den Fingerspitzen. „Eine inoffizielle Variante, den Namen der Bundeskanzlerin in Gebärdensprache auszudrücken, ist das Herunterziehen der Mundwinkel mit den Fingern.“ Pflugfelder lacht. „Das Wechselspiel zwischen Gebärden und Mimik ist in der Gebärdensprache direkter, kommt mit weniger Nebensätzen aus und schneller zur Sache.“
Natürlich ist das belastend
Auch Tochter Hannah beherrscht die Gebärdensprache genauso gut wie die Lautsprache. „Man kann mit Gebärdensprache Sachen meiner Meinung nach viel besser ausdrücken, weil es Gebärden gibt, die man auch gar nicht in Lautsprache übersetzen kann. Das sind Gebärden mit ganz spezieller Bedeutung“, sagt sie. Andere Vorteile seien etwa, dass man sich durch Glasscheiben und Autofenster hindurch unterhalten könne.
Eines ist sicher. In seinem Beruf erfährt Christian Pflugfelder nie Routine. „Man muss sich immer an die Klienten gewöhnen.“ Oft befinde er sich auch in belastenden Situationen, wenn er mit Menschen zusammenarbeitet, die nicht mit ihrem harten Schicksal zurechtkommen oder deren Gesundheitszustand sich verschlechtert. „Natürlich ist die Situation an sich belastend, aber in dem Moment, in dem ich mit den Klienten zu tun habe, kann ich ihnen eine Hilfe sein. Das wiederum ist so befriedigend, dass ich mit gutem Gewissen nach Hause fahren kann.“ Mal dolmetscht er eine Hochzeit, mal steht er einem gehörlosen Metzgereigesellen bei der Gesellenprüfung bei.
Die bestmögliche Förderung
Seine gehörlose Frau Katrin studierte an der Universität in Potsdam Sozialpädagogik, als er sie kennenlernte. Obwohl sie sich zuerst nicht vorstellen konnte, einen hörenden Partner zu haben, ist Katrin Pflugfelder nun glücklich mit ihrem Mann. Sie arbeitet als Schulpädagogin an einer Schule für Hörgeschädigte und Taube in Homberg/Efze. Für ihren Sohn Lucas wollen beide die bestmögliche Förderung. Zurzeit besucht er den Kindergarten im nordhessischen Ort Wabern. Ob Lucas hier auf dem Land später gut lernen kann, wissen die Pflugfelders noch nicht.