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Hirnforscher Hüther über Jungs : „Das Wichtigste wäre ein richtig guter Vater“

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Es ist nicht mein Anliegen, Menschen mit erhobenem Zeigefinger zu erzählen, wie sie ihr Leben zu gestalten haben. Ich stelle meine Erkenntnisse als Hirnforscher und Biologe zur Verfügung. Aber daraus ergibt sich eine banale Schlussfolgerung: Man kann sich das Hirn im Laufe der eigenen Entwicklung ruinieren und das seiner Kinder obendrein. Dann reifen Kümmerversionen dessen heran, was hätte werden können. Man kann aber auch versuchen, Bedingungen zu schaffen, damit angelegte Potentiale tatsächlich zur Entfaltung kommen. Dass ein Ausmaß an Vernetzung im Hirn hergestellt wird, mit dem man ein reicheres, offeneres, begeisterteres und gestaltungsfreudigeres Leben führen kann.

Und wie, bitte schön, geht das?

Zunächst müsste man sich mit sich selbst beschäftigen. Sich etwa die wunderbare Frage stellen: Warum bin ich eigentlich so geworden, wie ich bin? Welche Erfahrungen haben mich zu diesem Menschen gemacht? Dann würde man schnell darauf kommen, dass man als Erwachsener die Erfahrungsräume der nächsten Generation günstiger beeinflussen könnte, als das in der eigenen Entwicklung der Fall war. Aber wenn ich keine Lust habe, mein Leben zu ändern, setze ich mich vor den Fernseher, mache weiter wie bisher und sage, das sei genetisch. Männer sind so, alles angeboren, nichts zu machen. Dann bleibt wirklich alles, wie es ist.

Was braucht ein kleiner Junge?

Das Wichtigste wären ein richtig guter Vater und noch ein paar andere Männer im Verwandten- und Freundeskreis, die selbst gern Männer sind, die mit diesem Jungen was unternehmen und ihn so mögen, wie er ist. Liebe heißt ja nicht, dass man den ganzen Tag schmust. Man muss den Kindern eine Chance geben, ihre Potentiale zu entfalten.

Bringen die sogenannten neuen Väter, die jetzt scharenweise in Elternzeit gehen, die Wende für die männliche Hirnentwicklung?

Ich finde es großartig, wenn es mittlerweile Väter gibt, die wirklich Verantwortung übernehmen für die Bindung und Führung ihrer Kinder im Sinne von supportive leadership. Aber das sind noch immer sehr, sehr wenige. Probleme haben wir bei den vielen Jungs, die ohne gute männliche Vorbilder heranwachsen.

Das ist seit Jahren bekannt.

Deshalb wünsche ich mir viel mehr erwachsene Männer, die sich für diese Jungs einsetzen. Die sich zur Verfügung stellen. Die diese Jungs einladen, ermutigen und inspirieren, mit ihnen gemeinsam zu entdecken, was Mannsein bedeuten kann. Die mit ihnen auf Berge steigen, in Flüssen angeln, mit modernen Medien irgendetwas Großartiges gestalten, in den Zirkus gehen, was auch immer. Die Hauptsache ist das gemeinsame Erlebnis, dass es Spaß macht, ein authentischer Mensch zu werden. Ich plane eine Initiative, die genau solche Mentoren vermittelt.

Was hat das noch mit Hirnforschung zu tun?

Das ist der Paradigmenwechsel in der Neurobiologie. Wenn das Gehirn so wird, wie man es mit Begeisterung benutzt, kann Hirnforschung nicht an der Schädeldecke aufhören. Wir könnten die allerbesten biologischen und genetischen Anlagen haben. Das nützt nichts. Ohne Kultur könnte der Mensch nicht mal auf zwei Beinen gehen. Es muss jemand da sein, der uns zeigt, wie und wofür wir unser Gehirn benutzen. Und diese Aufgabe muss von erwachsenen Menschen bewusst und verantwortungsvoll wahrgenommen werden. Wir dürfen unsere Kinder, Jungen wie Mädchen, auf ihrer Suche nach einem Platz in dieser Gesellschaft nicht sich selbst oder gar den Medien überlassen.

Das Gespräch führte Julia Schaaf.

Der 58 Jahre alte Hirnforscher Gerald Hüther leitet die Zentralstelle für Neurobiologische Präventionsforschung der Universitäten Göttingen und Mannheim. Sein neues Buch „Männer - Das schwache Geschlecht und sein Gehirn“ ist gerade bei Vandenhoeck & Ruprecht erschienen (16,90 Euro).

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