Fotograf Stojan Kerbler : Niemand hat posiert
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Bild: Monika Aichelede
Ein slowenischer Fotograf dokumentiert Welten, die verschwinden. Dabei hat seine Familie eine Kamera aus einem traurigen Anlass gekauft.
Na, seid Ihr schon müde?“ Stojan Kerbler lacht. Er steht in der Tür seiner Wohnung im 4. Stock eines Wohnblocks in Ptuj. Einen Aufzug gibt es nicht. Man muss die Treppe nehmen. „Ich gehe jeden Tag mindestens zweimal rauf und runter“, erzählt der alte Herr. Er wird bald 82 Jahre alt. Seit dem Tod seiner Ehefrau lebt er allein in der Wohnung. Während des Lockdowns infolge der Corona-Pandemie haben ihn seine Kinder mit Lebensmitteln versorgt. Aber in den vergangenen 14 Tagen seien schon mehrere Künstler, Journalisten, Galeristen und Ausstellungsmacher da gewesen, berichtet er. Kein Wunder, denn der Fotograf ist seit 2020 Träger des Prešeren-Preises, der höchsten slowenischen Auszeichnung für Kunst.
Besonders spannend ist sein Labor
Seine Wohnung, hinter einer starken Tür mit doppelter Verriegelung, ist eine wahre Schatzkammer. An den Wänden hängen Fotos und Bilder, am Ende des Korridors steht eine Büste Kerblers. Besonders spannend ist das Labor, in dem er seine Fotos selbst entwickelt. Hier hängen auch Poster von großen Ausstellungen, in denen seine Fotos gezeigt wurden. Im Wohnzimmer gibt es ebenfalls Fotos und Bücher, einen Strauß frischer Blumen aus seinem Garten im Heimatort Ptujska Gora und einen kleinen Schreibtisch mit Computer. „Den Prešeren-Preis habe ich bekommen, nicht gewonnen“, stellt der Fotograf klar. „Gewinnen ist ein sportlicher Ausdruck. Ein jüngerer Fotograf sagte mir, dass dies keine Belohnung für mich sei, sondern für uns Fotografen der jüngeren Generation. Weil zum ersten Mal die Fotografie diese höchste Auszeichnung gewann. So empfinde ich dies auch als einen Sieg für die Fotografie. Natürlich auch in Anerkennung meiner persönlichen Arbeit.“
„Die Arbeiter waren richtige Typen“
Die erste Kamera erhielt er von seiner Mutter. „Das erste Kind meiner Eltern ist 1934 an Diphtherie gestorben, gerade als meine Mutter mit meiner Schwester schwanger war. Und weil es von dem verstorbenen ersten Kind nur ein oder zwei Bilder gab, hat meine Mutter eine Kamera gekauft. Die hat sie später dann mir gegeben.“ So entwickelte sich aus dem Wunsch der Mutter nach einer Dokumentation des Familienlebens langsam auch der Fotograf Stojan Kerbler, der sich später für seine Fotos Kameras ausborgte und erst 1959 die erste eigene kaufte. Kerbler studierte Elektrotechnik und war ab 1965 in einer Aluminiumfabrik, etwa zehn Kilometer westlich von Ptuj, beschäftigt. Er sorgte als Einkäufer dafür, dass täglich der hohe Stromverbrauch der Firma gedeckt war. „Es gab dort aber keinen Fotografen“, erzählt Kerbler, „so habe ich während der Arbeitszeit für die Werkszeitung fotografiert. Die Arbeiter waren richtige Typen. Sie haben damals für die Fabrik gelebt, sie haben sich mit ihr identifiziert. Und die meisten kamen aus dem Haloze.“
Auf Festen, Märkten und beim traditionellen Schlachten
Dort, im wenige Kilometer südlich von Ptuj gelegenen Hügelland, findet Kerbler seine heute bekanntesten Motive, die er konsequent in Schwarzweißtechnik aufnimmt. „Die Menschen waren sehr offen und freundlich zu mir. Sie kannten meinen Nachnamen, weil meine Eltern Lehrer waren und sie unterrichtet hatten. Niemand hat für ein Foto posiert. Und das sieht man den Fotos an. Die Menschen waren einfach authentisch, sie hingen sehr an ihrem Land und waren glücklicher, als wir es heute sind.“ Kerbler macht Fotos von Menschen in ihrem Alltag, zum Beispiel auf Festen, Märkten, auf dem Schulweg, bei der Weinlese oder beim traditionellen Schlachten. Wie viele Fotos im Lauf all der Jahre entstanden sind, kann er nicht sagen. Auch nicht, welches seiner Fotos ihm am besten gefällt: „Das ist so, als ob man eine Mutter fragte, welches ihrer Kinder das schönste sei.“