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Haft in der DDR : Drei Jahre durfte sie ihre Kinder nicht sehen

  • -Aktualisiert am

Bild: Monika Aichele

Folter im Frauengefängnis: Kopf senken und weiterlaufen, befahl der Stasi-Mann. Die Ansagerin Edda Schönherz berichtet als Zeitzeugin über ihre Stasi-Haft.

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          Ich war in keiner Partei und lehnte in meinem Beruf sämtliche politischen Sendungen ab. Aber ich wollte eben von Deutschland nach Deutschland reisen.“ Edda Schönherz, ehemalige Fernsehmoderatorin und Ansagerin der DDR, aber auch der Bundesrepublik Deutschland, berichtet im Rahmen der Zeitzeugengespräche des Bayernkollegs Schweinfurt über ihre Erlebnisse in der Zeit der Diktatur in der DDR.

          Die prominente Fernsehjournalistin reiste im August 1974 mit ihren Kindern nach Budapest und informierte sich bei der westdeutschen Botschaft über Möglichkeiten der Ausreise. „Da sämtliche Botschaften im sogenannten sozialistischen Ausland bewacht, abgehört und fotografiert wurden, waren wir sofort registriert und hatten von da an die Staatssicherheit im Nacken.“ Beim Rückflug fiel ihr ein Mann auf. „Ich wusste, ab diesem Tag waren wir nicht mehr allein. Die Spitzel hatten sich zwei konspirative Wohnungen eingerichtet und bewachten uns rund um die Uhr. Wenn wir nicht zu Hause waren, sind sie in unser Haus eingedrungen und haben es mit Abhörwanzen versehen.“ Eine Woche nach der Rückkehr aus Ungarn standen zwölf Männer und eine Frau vor ihrem Bett in Berlin. Sie sollte „zur Klärung eines Sachverhaltes“ mitkommen. Dass dieser Sachverhalt drei Jahre dauern sollte, ahnte sie nicht.

          Isoliert in Hohenschönhausen

          Die psychische Folter eines Häftlings begann bereits auf den Fahrten zur Untersuchungshaft nach Berlin-Lichtenberg und zwei Tage später nach Hohenschönhausen. „Man wird abgeholt, ohne zu wissen, wohin es geht, wie lange man bleibt, und man befindet sich in völliger Isolation.“ Die Zellen sind zwei bis drei Quadratmeter groß und mit Glasbausteinen versehen, so dass die Gefangenen nicht wissen, wo sie sich befinden. „Die Häftlinge wurden in einem Wagen zur U-Haft transportiert, einem Barkas 1000, der von außen wie ein Obst- oder Gemüsewagen aussah. Darin befanden sich jedoch fünf kleine Zellen. Auch ich musste in eine Zelle und man legte mir Handschellen an. Männer bekamen zusätzlich Fußfesseln.“ Es herrschte völlige Dunkelheit. Als Edda Schönherz aussteigen durfte, blendete sie grelles Licht. „Das ist eine ihrer Foltermethoden gewesen. Durch das völlige Dunkel im Wagen reagieren die Augen sehr sensibel auf das grelle Licht.“ Ein Stasi-Mann befahl ihr, den Kopf zu senken und weiterzulaufen. Die Gefangenen sollten weder wissen, wo sie sich befanden, noch andere Personen sehen. Der Mann führte sie durch einen farblosen Gang. Einschüchterung und Isolation der Häftlinge waren programmiert. Die Beleuchtung des Korridors glich einem Ampelsystem: Waren einige Lampen auf dem Gang rot, wusste der Läufer, dass noch ein zweiter Häftling da war und man warten musste, da sich die Gefangenen nicht sehen sollten. Man sah also nur einen der zwei Vernehmer, den Läufer und eventuell einen zweiten Häftling in der Zelle, aber das konnte auch ein Spion der Stasi sein.

          Mit Handschuhen durch sämtliche Körperöffnungen

          Die Moderatorin wurde in einen Raum geführt, in dem eine Art Theke stand. Plötzlich wurde sie angeschrien und aufgefordert, sich zu entkleiden. „Wenn Frauen ihre Periode hatten, war das denen egal. Und Männer mussten die Vorhaut ihres Geschlechtsteils zurückziehen. Man sollte die Beine spreizen, die Knie beugen, sich bücken und der Aufseher ging mit Gummihandschuhen durch sämtliche Körperöffnungen, die man hat.“ Daraufhin gab man Schönherz abgetragene, viel zu große Wäsche aus dem Armeebestand. Das Selbstbewusstsein sollte gebrochen werden. „Man wurde ab sofort nur noch mit einer Nummer angesprochen. Ich sollte noch in ein Identifikationszimmer, in dem ich die Anstaltskleidung bekommen sollte.“ Wieder musste sie sich entkleiden und wurde von zwei Genossen abgesucht. „Sie schauten, ob ich Narben, Leberflecke oder Tätowierungen hatte, denn daran würden sie mich ein Leben lang identifizieren können, auch wenn ich auf freiem Fuß war.“ Dann musste sie sich für ein Foto auf einen Stuhl setzen. „Heute nimmt man an, wer länger als notwendig auf diesem Stuhl saß, wurde verstrahlt. In Hohenschönhausen konnte man die Kamera verschwinden lassen, aber in Gera fand man hinter so einem Stuhl auf Kopfhöhe eine Röntgenkamera. Die Stasi folterte mit dieser Methode die Gefangenen langfristig, indem sie nach 5, 10, 15 oder 20 Jahren wahrscheinlich an einem Tumor oder einem unheilbaren Krebsleiden sterben würden.“ Das Ministerium für Staatssicherheit arbeitete auch mit radioaktiven Substanzen. So hat man Menschen heimlich mit radioaktivem Material in Kontakt gebracht. „Oft sprühte man Jacken und Taschen mit radioaktiven Substanzen ein. Manchmal wurden auch Geldscheine präpariert.“

          Scheinbar nett im Vernehmungszimmer

          Edda Schönherz erhält eine Plastikschüssel und einen Becher, das Einzige, das sie nun besitzen sollte. „Die Zelle, in die ich geführt wurde, besaß einen Tisch, einen Hocker und eine Pritsche. Es gab Matratzen, eine Decke mit karierter Bettwäsche, das Liegen auf der Pritsche war nur von 22 bis 6 Uhr erlaubt.“ Man wurde alle fünf bis zehn Minuten durch einen Türspion überwacht. Nachts leuchtete man in die Zellen. „Das ist eine alte asiatische Methode, mit Schlafentzug eine Person zu brechen.“ Oft hört sie Weinen in anderen Zellen und das Rufen der Mütter nach ihren Kindern.

          Die Vernehmungszimmer in Hohenschönhausen waren farbig. „Das sollte einen Wohnzimmereffekt auslösen. Auf einmal hatte man einen scheinbar netten Mann vor sich.“ Gestaltete sich eine Vernehmung als schwierig, so mussten sich die Häftlinge auf einen Hocker und auf ihre Hände setzen. „Nach einiger Zeit Sprechen ohne Gestik merkt man, dass die Konzentration schwindet.“ Oft versuchten die Vernehmer, die Gefangenen mit Lügen zu provozieren. „Plötzlich wird einem erzählt, dass der Partner einen verlassen hat. Und oft führt das dazu, dass man Dinge sagt, die man sonst nicht sagen würde.“ Zwei Tage später teilte ihr der Untersuchungsrichter den Grund der Festnahme mit: Unter anderem illegales Vorbereiten zum Verlassen der DDR im besonders schweren Fall, weil sie mit ihren Kindern, also in einer Gruppe, reiste. „Ich verlangte nach einem Anwalt.“ Der Richter lachte sie aus. Haftzeit in Hoheneck, einem berüchtigten Frauengefängnis, folgte. „Ich durfte in diesen drei Jahren nicht einmal meine Kinder sehen, immer mit der Begründung, dass sie noch nicht 18 seien und keine Haftanstalt betreten dürften. Annette und René waren damals 11 und 12 Jahre alt.“ Später erfuhr sie, dass die Kinder in ihrem Haus bleiben durften und die Großeltern dort einzogen.

          Der Anwalt ernüchterte sie

          Kurz vor ihrer Entlassung bot man Schönherz einen Arbeitsplatz als Aushilfskraft in einer Großbäckerei an, den sie nicht annehmen wollte. Daraufhin drohte man ihr mit Arbeitserziehung. Sie suchte Hilfe bei der evangelischen Kirche, Bischof Albrecht Schönherr lässt sich verleugnen. „Heute weiß ich warum, er hatte Sympathien für das Regime gehegt. Auch in der Kirche gibt es schwarze Schafe.“ Bei der katholischen Kirche stößt sie auf Hilfe und erhält durch Bischof Bengsch einen Arbeitsplatz als Fotografin bei der Caritas. Sie musste nochmals zwei Jahre warten, bis sie ausreisen konnte und kontaktierte Anwalt Wolfgang Vogel. Der sagte ihr ernüchternd: „Sie glauben doch nicht, dass man Sie im Westen wieder auf dem Bildschirm sehen will?“ 1977 durfte Edda Schönherz ihre Kinder endlich wiedersehen, im Dezember 1979 gestattete man ihr die Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland. Dasselbe Gericht, das sie verurteilt hatte, musste sie nach der Wiedervereinigung 1990 rehabilitieren. Sie zog mit ihren Kindern nach Bayern und erhielt eine Stelle beim Bayerischen Rundfunk. „Allein, dass ich wieder auf dem Bildschirm zu sehen war, war für mich eine Möglichkeit, diesen Leuten zu zeigen, dass sie mich nicht gebrochen hatten.“ Schönherz setzte sich mit anderen ehemaligen politischen Häftlingen für eine Entschädigungsrente der Gefangenen ein, die durchschnittlich zurzeit rund 300 Euro monatlich beträgt. „Das ist zwar nicht sehr viel, aber es hilft vielen, um nicht vollkommen in Armut abzurutschen. Damals hatten die jungen Gefangenen nicht mehr die Möglichkeit, ihr Abitur nachzuholen, zu studieren und das zu erreichen, was sie wollten.“

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