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Israels Templer-Kolonien : Ein deutsches Dorf in Tel Aviv

Wiederhergestellt: Häuser der „Templer“ von Sarona in Tel Aviv Bild: Hans-Christian Rößler

Ziegeldächer, Kegelbahn und Biergarten: Die Siedlung schwäbischer Pietisten war jahrzehntelang militärisches Sperrgebiet, dann sollte sie abgerissen werden. Stattdessen wurde Sarona zu neuem Leben erweckt.

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          Schai Farkasch hatte noch ein wenig Zeit vor dem Termin im Verteidigungsministerium. Er streifte über das Gelände im Zentrum von Tel Aviv. Die Tür eines alten, leerstehenden Hauses weckte seine Neugier. Drinnen klopfte Farkasch am Putz und entdeckte darunter ein Blumenmuster. Seit diesem Tag vor 14 Jahren hat ihn Sarona nicht mehr losgelassen. Seiner Familie gehört eine Pinselfabrik, doch er wurde nach der Entdeckung Restaurator: In dem Viertel neben dem Verteidigungsministerium kennt er jedes Haus und jedes Zimmer. Und er schwärmt von den Vorlieben seiner deutschen Erbauer. „Sie verwendeten 140 Schablonen.“ Rosen, Löwen, Spiralen und Hakenkreuze zieren die Wände.

          Hans-Christian Rößler
          Politischer Korrespondent für die Iberische Halbinsel und den Maghreb mit Sitz in Madrid.

          Im Jahr 1871 ließen sich württembergische Pietisten in der sumpfigen Ebene unweit des Ajalon-Flusses nieder und begannen eine landwirtschaftliche Kolonie zu errichten. Sie nannten sich Templer. Damit knüpften sie nicht an die Kreuzritter an, sondern an eine Stelle im Neuen Testament: Die Mitglieder der Gemeinschaft verstanden sich als „lebendige Bausteine“ eines Gotteshauses, das sie damals mit ihrer Arbeit im Heiligen Land errichten wollten. In Tel Aviv gründeten sie weitere Kolonien, die Namen wie „Walhalla und „Wilhelma“ trugen.

          Auch in Haifa und Jerusalem ließen sie sich nieder. Ihr Erfolg ermutigte auch jüdische Zionisten, ihrem Beispiel zu folgen. Ihre Häuser sind solide gebaut, haben hölzerne Fensterläden und rote Ziegeldächer mit einer Wetterfahne darauf – wie in der alten Heimat. Doch davon wäre in Tel Aviv fast nichts übrig geblieben. Während in Haifa und in Jerusalem sich die Templer-Kolonien in gefragte Wohn- und Ausgehviertel verwandelten, drohte in Tel Aviv der Abriss. Jahrzehntelang war das Viertel militärisches Sperrgebiet. Umgeben von einem hohen Stacheldrahtzaun, gehörte es zum Verteidigungsministerium.

          Mossad, Eichmann und eine Flugzeugschmiede

          Jetzt ist das parkähnliche Areal unter schattenspendenden Platanen zu einem Ausflugs- und Touristenziel geworden: Statt zu den Bauhaus-Gebäuden am Rothschild-Boulevard oder in den renovierten alten Hafen zieht es immer mehr Besucher nach Sarona. 37 historische Häuser wurden vorbildlich restauriert. Sie beherbergen Restaurants, Boutiquen und Modegeschäfte. In das frühere Gemeindehaus, in dem die Templer zum Gottesdienst zusammenkamen, ist ein deutscher Sportartikelhersteller eingezogen. Um ein Haar wäre fast alles abgerissen worden. Nur eine Handvoll Templer-Häuser sollte stehenbleiben, der Rest des von Investoren begehrten Areals im Herzen von Tel Aviv Neubauten Platz machen. 1999 meldete sich ein Armeeoffizier konspirativ bei der Denkmalpflegerin der Stadt. Sein Auftrag lautete, die Hallen der früheren Winzergenossenschaft auszuräumen, um sie für den bevorstehenden Abbruch vorzubereiten. Er brachte es aber nicht übers Herz. „Deutsche Weinbaugenossenschaft“ steht an einer Wand auf Deutsch und Arabisch. In den Kellern reiften früher Weine mit klangvollen Namen wie „Sarona Rot“, „Perle von Jericho“ und „Jaffa Gold“ für den Export nach Deutschland. Heute befindet sich dort eine Weinbar. Über einen unterirdischen Gang ist das zweite Kellereigebäude zu erreichen, in dem der israelische Spitzenkoch Ran Schmueli sein Restaurant eröffnet hat.

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