Insekten zum Essen : Da steckt der Wurm drin
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Noch krabbeln sie: Cédric Auriol mit seiner Mehlkäfer-Zucht Bild: Philippe Psaïla
Der Franzose Cédric Auriol züchtet Grillen und Mehlwürmer für den menschlichen Verzehr. Er ist der Erste in Europa.
Sieht so ein Insektenzüchter aus? Cédric Auriol ist frisch rasiert, trägt weißes Kragenhemd und schwarzes Sakko, dazu Bluejeans. „Ich bin Unternehmer“, sagt Auriol gleich zu Beginn. Er geht durch die Produktionshalle seines Unternehmens in einem Toulouser Vorort. Auf weißen Stellwänden prangt der grünschwarze Schriftzug: „Micronutris - Erzeuger dauerhafter Nahrung“. In der Ecke der Halle stehen drei Clubsessel aus braunem Leder: Cédric Auriols improvisiertes Empfangszimmer. Auf einem Tisch liegen Plätzchen und Pralinen, die mit getrockneten Grillen dekoriert wurden.
„An dem Tag, an dem ich entschied, Insekten im großen Stil für den menschlichen Verzehr zu züchten, hatte ich noch kein einziges Insekt probiert“, sagt Auriol. „Allein die Idee hatte mich überzeugt.“ Das war 2011. Heute legt sich Auriol eine Handvoll getrocknete Mehlwürmer auf die Hand und wirft sie mit Schwung in seinen Mund. „Ich esse die jeden Tag.“ Sie schmecken nussig, würzig - lecker. Auch eine getrocknete Grille bietet er an. Sie schmeckt ähnlich, nur knuspriger.
„Hören Sie, das beruhigt doch auch irgendwie“
Nach seinem Wirtschaftsstudium importierte der heute 30 Jahre alte Auriol zunächst Textilien aus Asien. Das Geschäft verschaffte ihm das Startkapital. Mit dem Biologiedoktoranden Jeremy Defrize begann er die Insektenzucht im Büro seines Textilhandels. „Meine Mitarbeiter gewöhnten sich schnell an das Zirpen der Grillen. Hören Sie, das beruhigt doch auch irgendwie.“ Die Halle füllt ein konstantes „Ziiip, Ziiip, Ziiip“, das sich wie eine Kopfstimme über das Brummen der Klimaanlage legt.
David Faure, ein Sternekoch aus Nizza, bezieht mittlerweile jede Woche 1000 Grillen und 4000 Mehlwürmer aus der Zucht Auriols. „Er hat ein ganzes Insektenmenü entworfen“, sagt Auriol und winkt dann ab: „Das sind nur Spielereien. Natürlich kann man die Insekten so als Ganzes lecker zubereiten. Wir planen sie aber im großen Stil zu Pulver und Paste zu verarbeiten.“ Ende 2013 will Auriols Firma Micronutris einen Energieriegel auf Basis von Grillen und Mehlwürmern auf den Markt bringen.
Eine hervorragende Proteinquelle
Insekten sind eine hervorragende Proteinquelle, reich an ungesättigten Fettsäuren, Vitaminen und Mineralstoffen. Sie benötigen weit weniger Land, Wasser und Nahrung als Schweine oder Rinder. Insekten verwandeln als Kaltblüter einen größeren Teil ihrer Nahrung in Körpermasse als Rinder und Schweine. Daraus folge, rechnet Auriol vor, dass mit zehn Kilogramm Gemüse und Getreide neun Kilogramm Insekten gezüchtet werden können. Im Vergleich zu nur fünf Kilogramm Hühnerfleisch, drei Kilogramm Schweinefleisch und nur einem Kilogramm Rind. Auch erzeugen Insekten kaum klimaschädigende Gase wie Kohlendioxid und Methan. „Insekten sind die ,öko’-logische Antwort auf den steigenden Nahrungsmittelbedarf“, ist sich Auriol sicher.
Vor wenigen Wochen erst ist eine Studie der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) erschienen, die ihm recht gibt. Darin fordert die FAO zum vermehrten Verzehr von Insekten auf. Zwei Milliarden Menschen essen das Getier bereits regelmäßig, vor allem in Afrika, Asien und Lateinamerika. Mit einem erwarteten Anstieg der Weltbevölkerung auf neun Milliarden Menschen im Jahr 2050 könnten Insekten einen entscheidenden Anteil daran haben, eine Nahrungsmittelkrise zu verhindern und den Raubbau an der Natur zu mindern.
Mehrere Stunden auf 60 Grad erhitzt
An den Wänden in Auriols Halle stapeln sich etwa zwei Kubikmeter große Plastikkisten. Darin, unter einer Plexiglasscheibe, krabbeln und hüpfen Grillen in einer Art Häuserlandschaft aus Eierkartons. „Täuschen Sie sich nicht, Grillen sind sehr individualistisch“, sagt Auriol. „Sie brauchen auch mal ihre Ruhe, wenn sie sich häuten wollen zum Beispiel.“ Der Biologe Defrize tritt dazu. Er hat die Aufzuchtkriterien entlang des französischen Regelwerks für die Lebensmittelproduktion entwickelt. „Das Wichtigste ist Hygiene“, sagt er. Einmal in der Woche wird jede der etwa 70 Kisten gesäubert und geprüft, ob eventuell eine Grille gestorben ist. Das komme zwar sehr selten vor, die dabei entstehenden Bakterien könnten aber die ganze Produktion ruinieren. „Wir setzen hier ja keine Medizin ein“, sagt Defrize, „oder auch Pestizide. Alle Futtermittel wie Weizen, Karotten und Kartoffeln kommen von Biobauern aus der Region.“
Nach zwei Monaten sind die Grillen ausgewachsen und können verarbeitet werden. Dafür werden sie mehrere Stunden auf 60 Grad erhitzt und getrocknet. Dann können sie direkt gegessen oder weiter zubereitet werden. 15 Tonnen Insekten will Micronutris bis Ende 2013 produziert haben. Nur die Hälfte davon sind Grillen. In einem Hinterzimmer, keine 20 Quadratmeter groß, riecht es muffig. Dort kriechen und kräuseln sich Mehlwürmer in gestapelten schwarzen Gemüsekisten. Im Gegensatz zu den Grillen ist ihr Zuhause lediglich eine wenige Millimeter dicke Auslage aus Mehl und Holz. „Einmal die Woche bekommen sie eine neue Auslage und eine Karotte, das war’s“, sagt Auriol.
Viele Stunden Handarbeit für ein Kilogramm
Dennoch erfordert die Produktion von einem Kilogramm Insekten noch mehrere Stunden Handarbeit. Fünf Arbeiter beschäftigt Auriol. „Wir leisten hier Pionierarbeit“, sagt er. Das mache die Produktion zurzeit noch sehr teuer. 250.000 Euro habe er bisher in Micronutris investiert. Probierpäckchen mit etwa 40 Grillen bietet Micronutris auf seiner Internetseite für zwölf Euro an. Bisher ein teures Geschmackserlebnis für Neugierige. In drei Jahren will Auriol den Preis allerdings so weit drücken, dass die Insekten mit Rinderfleisch konkurrieren können. So lange will er auf ökologisch bewusste Konsumenten und das Geschmacksabenteuer setzen. „Die Insekten schmecken vorzüglich!“ winkt Auriol einladend: „Kommen sie zum Probieren!“