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Lebensmittelskandal : Wie ein Insektizid in die Hühnereier kam

  • -Aktualisiert am

Millionen Hühnereier sind mit dem gefährlichen Insektizid Fipronil verseucht worden. Bild: dpa

Es ist der größte Lebensmittelskandal des Jahres: Eine niederländische Firma hat im großen Stil Hühnerställe mit einem Gift gereinigt. Millionen verseuchte Eier haben ihren Weg in den Handel gefunden – auch nach Deutschland.

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          In der hochspezialisierten Tiermast und Hennenhaltung reinigen Landwirte ihre Ställe oft nicht selbst; das tun spezialisierte Hühnerstall-Reinigungsunternehmen. „Chickenfriend“ heißt dasjenige, das für den vorerst größten Lebensmittelskandal des Jahres mitverantwortlich zu sein scheint, und bei dem Millionen Eier vergiftet wurden. Zum Vergleich: Beim Dioxinskandal im Jahr 2011 wiesen nur einige wenige Eier Grenzwertüberschreitungen auf.

          „Chickenfriend“ arbeitet im Auftrag von Agrariern in den Niederlanden mit einem Reinigungsmittel, das offenbar auch ein gesundheitsschädliches, in der Nutztierhaltung verbotenes Mittel enthielt: Fipronil vom deutschen Chemiekonzern BASF. In den vergangenen Tagen ließ die Niederländische Agraradministration daraufhin 180 Geflügelzuchtbetriebe sperren. Die Verbraucher sollen Eier mit inzwischen 27unterschiedlichen Prüfnummern nicht verzehren. Ein Teil der Eier geriet auch nach Norddeutschland, wie das Agrarministerium in Niedersachsen am Dienstagabend mitteilte. Und auch deutsche Betriebe bezogen das kontaminierte Reinigungsmittel.

          Nach einem Bericht des Geflügel-Nachrichtenportals „Poultryworld“ war „Chickenfriend“ mit seinem Personal eindeutig für die Reinigung der nun kontaminierten Ställe zuständig. Ob das stimmt, prüft die Staatsanwaltschaft. Die Reinigungsfirma entfernt die Einstreu und bringt frische, und sie sorgt für die Parasitenentfernung. In der Massenhaltung mit mehreren zehntausend Tieren in einer Produktionsanlage fühlen sich Parasiten besonders wohl. Gegen die Rote Vogelmilbe, einen häufigen Parasit des Huhns, nutzte „Chickenfriend“ Dega-16. Das Mittel ist sogar für Menschen genießbar: ein pflanzliches Präparat aus Eukalyptusöl. Menthol ist auch enthalten.

          „Es gilt in der Europäischen Union bei Fipronil null Toleranz“

          Nach vorläufigen Erkenntnissen der Behörden und nach Berichten von Geflügelfachmedien enthielt jenes Eukalyptuspräparat nun aber auch das giftige Insektizid Fipronil. Wie das geschehen konnte, ist Gegenstand der Ermittlungen. Die Anwendung von Fipronil für die Haltung „Lebensmittel liefernder Tiere“ ist sowohl in Deutschland wie auch in den Niederlanden verboten. Allerdings wurde es – mit behördlicher Ausnahmegenehmigung – auch immer wieder mal verwendet, um Getreidesaatgut zu beizen, obwohl es als bienenschädlich gilt. Tierärzte setzen es zudem bei der Parasitenbehandlung von Katzen und Hunden ein.

          August 2017 : Auch Eier aus deutscher Produktion mit Fipronil belastet

          Offenbar wurde das Mittel Dega-16 im vorliegenden Fall mit Fipronil gemischt. Wie und wo das passierte, ist bislang noch unklar. Über diesen Weg gelangte das Kontaktgift auch in die Eier, von denen Zehntausende am Tag, in der Summe waren es Millionen, ihren Weg in den Handel nahmen. Die Behörden riefen schon in den vergangenen Tagen mehrere Millionen mit dem Insektizid verseuchte Eier aus Supermärkten zurück.

          Von den Niederlanden aus werden Eier auch nach Deutschland verkauft, da hierzulande nicht genügend produziert werden. Über eine Packstelle in Nordrhein-Westfalen gerieten so mindestens 1,3 Millionen belastete Eier nach Niedersachsen, wie das Agrarministerium in Hannover mitteilte. Die Stempel der betreffenden Chargen sind auf den Seiten des Ministeriums zu finden. „Es gilt in der Europäischen Union bei Fipronil null Toleranz“, ließ sich Agrarminister Christian Meyer (Grüne) zitieren. „Das Insektizid hat in Lebensmitteln nichts zu suchen. Punkt.“ Das Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin warnt zudem vor einem akuten Gesundheitsrisiko für Kinder durch den Verzehr.

          Auch Deutschland ist betroffen

          Ein Hühnerhof in der Grafschaft Bentheim westlich von Osnabrück erstattete Selbstanzeige. Der mit den kontaminierten Putzmitteln belieferte Betrieb mit 40.000 Freiland-Legehennen wurde daraufhin gesperrt. In Nordrhein-Westfalen nahmen die Handelsketten nach Anweisung der Behörden schon zu Wochenbeginn fast 900.000 Eier vom Markt.

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          Am Mittwochvormittag warnte dann eine niederländische Verbraucherschutzbehörde sogar generell vor dem Verzehr von Hühnereiern. Bis zum Wochenende solle man Verzicht üben. Jedoch korrigierte die Behörde am Nachmittag die Aufforderung und beschränkte sie auf die Eier aus den betreffenden Chargen.

          Neben den 180 niederländischen Legehennenbetrieben hätten auch ein belgischer Betrieb und vier deutsche Betriebe das kontaminierte Mittel Dega-16 bezogen, hieß es am Mittwochnachmittag aus den Niederlanden. Der Geflügelzüchterverein KAT, der für die großen deutschen Erzeuger steht, nannte allerdings geringere Zahlen als die niederländische Verbraucherschutzbehörde. „Nach unserem jetzigen Kenntnisstand haben 100 niederländische, vier deutsche und ein belgischer Betrieb das Desinfektionsmittel Dega-16 bezogen“, teilte KAT am Mittwoch mit. Die vier deutschen Betriebe seien sofort gesperrt worden. Was das für die Tiere bedeutete, wurde nicht klar. Das Produktionssystem ist nur durch Notkeulungen zu bremsen; andernfalls müssten große Mengen an Eiern gelagert, verarbeitet oder vernichtet werden. „Wir prüfen derzeit, ob und in welchem Umfang die von den genannten Betrieben erzeugten Eier tatsächlich mit Fipronil belastet sind“, sagte ein Sprecher der KAT.

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