Die Weißen Riesen fallen
Von MARC BÄDORF, Fotos: MARCUS KAUFHOLD
22.03.2019 · Früher einmal war diese Hochhaussiedlung in Duisburg etwas Besonderes. Modern und hip. Dann kam sie in die Jahre, das Biotop veränderte sich. Jetzt werden die Häuser gesprengt. Ein Abschiedsporträt.
D ie Weißen Riesen stehen auf einer Wiese, an einem der zerfaserten Enden dieser Stadt, die so lang ist, dass sie nie zu enden scheint. Sie sind zu sechst, ragen weit auf in den Himmel, zwanzig Stockwerke verteilt auf bestimmt siebzig Meter Höhe und Hunderte Meter Breite, insgesamt eintausendvierhundertvierzig Wohnungen.
In den siebziger Jahren gebaut, so ein ausführlicher Bericht des Stadtdezernenten zur Lage der Siedlung, auf den Ruinen einer abgerissenen Duisburger Bergarbeitersiedlung, sollte sie das Versprechen auf eine andere Welt sein – eine Welt mit gleichmäßig geheizten Räumen, mit Parkanlagen rundherum, mit großen, schön geschnittenen Zimmern.
So lockten die Weißen Riesen Familien und Anwälte und Ärzte, aber nur für eine Weile. Dann setzte der Verfall ein. Jahr für Jahr verschlechterte sich die Lage, viele Bewohner zogen aus, neue kamen kaum hinzu, weil die Riesen schon nach wenigen Jahren als hässliche und sehr gefährliche Monster verschrien waren. Sie wurden das, was sozialer Brennpunkt genannt wird, wurden ein Ort, an dem selbstverständlich keiner, der ganz bei Trost war, leben wollte – an den nur Menschen ziehen, die sich nichts anderes leisten können. Im Jahr 2013, so geht es aus dem Bericht des Stadtdezernenten hervor, war etwa ein Viertel der unter 65-jährigen Bewohner auf Hartz IV angewiesen, eine, wie es im Bericht genannt wird, „extrem hohe soziale und ökonomische Belastung“.
Irgendwann kam dann der Leerstand, in manchen der Riesen war nicht mal jede zehnte Wohnung besetzt. Die Hausfarbe bröckelte, und wo sie nicht bröckelte, wurde sie mit Farbe besprüht. Die Weißen Riesen wurden grau, das Unkraut zwängte sich durch die Lücken der Betonplatten auf dem Boden ans Licht, überall lag Müll, und nachts waren die Riesen zu einem Ort geworden, über den die Leute sagten, dass man dort besser nicht mehr hingehe.
So war klar, dass das nichts mehr werden würde mit den Riesen. In den kommenden Jahren sollen sie nun geschlossen werden und gesprengt, einer nach dem anderen, am nächsten Sonntag geht es mit dem ersten der Riesen los. Am Ende soll es so aussehen, als hätte es sie nie gegeben. Es wird das Ende sein einer eigenen Welt.
Mahmut Özdemir, Bundestagsabgeordneter.
In seiner Kindheit waren die Weißen Riesen für den zweiunddreißigjährigen SPD-Bundestagsabgeordneten Mahmut Özdemir wie der Himmel. Das heißt: Sie waren immer da. Wenn er zum Beispiel mit seinem Vater zum MSV Duisburg ins Stadion fuhr, so erzählt er es heute, sah er sie auf dem Heimweg, sobald sie auf der Autobahn waren – Hunderte helle Lichter, die durch die Fenster leuchteten. Bald, wusste Özdemir dann, würde er wieder zu Hause sein.
Özdemirs Eltern waren aus der Türkei nach Deutschland eingewandert, hatten sich im Duisburger Stadtteil Homberg niedergelassen, zunächst in einem Haus, das nicht viel mehr bot als ein Dach über dem Kopf. Die Toiletten lagen außerhalb des Hauses; jedes Mal, wenn Özdemirs Eltern mal mussten oder sich waschen wollten, mussten sie das Haus verlassen. So erinnert der Bundestagsabgeordnete sich heute.
Früher waren die Weißen Riesen was Anderes – sie waren groß, hip, sogar luxuriös, und, natürlich, ausgestattet mit einer Toilette pro Wohnung. Und dann dieser Ausblick: Selbst von der achten Etage, in die Mahmut Özdemir schon bald nach seiner Geburt mit seinen Eltern einzog, reichte er über ganz Duisburg. Am schönsten war der Blick im Winter, wenn es geschneit hatte, und Özdemir wusste, dass er bald runter durfte, in den Schnee. Er hat ein Foto von diesen Tagen, der vielleicht Vierjährige im blauen Anzug im Schnee. Hinter ihm erheben sich die Weißen Riesen. „Das war eine wunderbare Zeit“, sagt Özdemir.
Bis zu seinem sechsten Lebensjahr lebte Özdemir in den Weißen Riesen, genauer: im Weißen Riesen an der Ottostraße 56. Dann kauften sich seine Eltern eine Eigentumswohnung, 300 Meter entfernt; Mahmut und seine Familie zogen aus. Als er in diesem Jahr auf die Grundschule kam, ging er auf eine andere als seine Freunde aus den Weißen Riesen – seine Eltern waren über die Trennungslinie gezogen.
Waren in Özdemirs Kindheit im Weißen Riesen die Nachbarn Steuerberater und Lehrer gewesen, bemerkte er nun von außerhalb, wie sich der Riese wandelte. „Das, was im Riesen passiert ist, war fast integrationsfeindlich“, sagt Özdemir.
Von nun an verliefen die Lebenskurve von Mahmut Özdemir und die der Weißen Riesen gegensätzlich: Während Özdemir sein Abitur machte, Jura studierte und mit 26 Jahren in den Bundestag einzog, wurde es in den Riesen von Jahr zu Jahr schlechter. Die Eigentümer wechselten, aber kümmerten sich nicht um ihre Häuser, und bald war die Tiefgarage unter einem der Riesen die erste große Folge davon: Sie musste, wegen der Gefahr eines Einsturzes, geschlossen werden.
Irgendwann beschloss Özdemir, politisch dafür zu kämpfen, den Ort, an dem er seine Kindheit verbracht hatte, abzureißen. Es tue ihm weh, sagt er, aber er wisse, dass es das Beste sei, für alle. In zehn Jahren, sagt Özdemir, stelle er sich vor, dass er mit seinen Kindern dort, wo die Weißen Riesen mal gewesen sind, durch einen Park läuft. Und, ohne sentimental werden zu wollen: Er würde dann gerne sagen können, dass es schön sei, dass sich der Abriss gelohnt habe.
Beobachtungen an den Weißen Riesen, ein Dienstagmorgen im Winter
Es ist windig, hin und wieder fällt leichter Regen. Die Spaziergänger haben ihre Jacken bis zum Kinn hochgezogen. Vor den Riesen in der Ottostraße 58-62 halten Autos mit rumänischen Kennzeichen. Männer steigen aus und stellen sich auf die Straße. Sie betreten die Riesen nicht, unterhalten sich mit einer Frau, die sich in einem oberen Stockwerk, vielleicht im siebten oder achten, aus dem Fenster lehnt. Die Männer brüllen, die Frau brüllt zurück, aber sie lächeln dabei, und schließlich lachen alle.
Auf einem Spielplatz spielt niemand, nur zwei Jugendliche sitzen auf einer Tischtennisplatte. Sie rauchen und betrachten die Luft. Es ist ruhig, bloß vom Riesen an der Friedrich-Ebert-Straße 10–16 dringt Baulärm herüber. Er wird vorbereitet zur Sprengung am 24. März.
Im Riesen an der Ottostraße 54–56 schließt der Hausmeister eine Metalltür auf, nimmt sich eine Schaufel, steigt auf einen Müllcontainer und schlägt mit der Schaufel auf die im Container liegenden Müllsäcke ein. Manche der Müllsäcke platzen auf, der Hausmeister wirkt wie ein Mensch, der einen schlechten Tag hatte und nun seinen Frust an einem Boxsack auslässt. Seit dreißig Jahren lebt er an der Ottostraße 54–56, vor einiger Zeit hat er erfahren, dass die Stadt Duisburg das Haus gekauft hat. Er wusste sofort, was das bedeuten würde: dass die Stadt alle Riesen abreißen werde.
Ein alter Audi hält am Bürgersteig vor dem Haus, eine Frau steigt aus. Der Hausmeister begrüßt die Frau, lässt sich von ihr die Autoschlüssel geben. Dann steigt er in den Audi und fährt davon.
Jürgen, Bewohner.
Als Erstes zündet sich Jürgen eine Zigarette an. Er zieht einmal, bläst den Rauch wieder aus. Dann hält er die Zigarette zwischen seinen Fingern, die in Handschuhen stecken. Auf dem Teil des Handschuhs, der Jürgens Mittelfinger vor Kälte schützen soll, hat sich bereits ein verkrustetes, schwarzes Brandloch gebildet.
Jürgen hat viel Zeit. Früher, erzählt er, hat er als Werkzeugmacher gearbeitet, heute ist er Rentner und verbringt die meiste Zeit damit, irgendwas anzuschauen. Wenn er auf seinem Balkon auf der 18. Etage sitzt, schaut er sich Duisburg an. Wenn er auf seinem Rollator, in dessen Korb eine Dose Ravioli und fünf Dosen Bier liegen, vor der Tür des Hauses Ottostraße 56 sitzt, schaut er sich die Menschen an und was die halt so machen.
Das hört sich einsam an, aber das ist es nicht, sagt Jürgen. Auf seinem Balkon ist er oft in Begleitung seiner Frau, nein, Ex-Frau, die nur zweihundert Meter entfernt lebt und, trotz der Trennung, jeden Morgen zu Jürgen kommt, um eine Zigarette zu rauchen und ein wenig zu plaudern. Vor der Tür sitzend plaudert Jürgen sowieso mit jedem. Er ist 77 und kennt alle. Es kennen zwar nicht alle Jürgen, aber das macht ja nichts, sie können ihn ja noch kennenlernen.
Seit 43 Jahren, so errechnet er es mit einigem Aufwand, lebt Jürgen an der Ottostraße; wenn er mit seinem Handschuh über das Klingelschild fährt, kann er zu fast jedem Namen eine Geschichte erzählen. „Der ist 91“, sagt er und deutet auf einen Namen am oberen Rand des Klingelschildes. „Der wohnt in der obersten Etage. Aber der geht trotzdem jeden Tag noch eine Runde mit seinem Rollator. Der sagt mir immer, ich soll mitkommen. Aber das mache ich nicht mehr.“
Jürgen deutet auf einen Namen in der Mitte des Klingelschildes: „Der hier war mein Kumpel. Jetzt ist er tot.“ Der Name steht noch immer an der Klingel. Hier passiert nicht mehr viel. Er seufzt einmal, dann lacht er. So ist das halt, da kann man nichts machen.
Jürgen ist mit seiner Familie in den Weißen Riesen gezogen, inzwischen haben ihn alle verlassen, seine Frau ist einige Häuser, seine Kinder einige Straßen weiter gezogen. Jürgen ist geblieben, er liebt die Riesen, sie sind seine Heimat. Für ihn sind die Weißen Riesen ein Dorf, das er nicht zu verlassen braucht, um glücklich zu sein. Mittwochs und samstags schiebt er seinen Rollator zum Markt, sonst ist es nicht weit bis zum Edeka, wo es alles gibt, was er braucht – vor allem Bier und Zigaretten.
Jürgen möchte so lange in der Ottostraße bleiben, wie es eben möglich ist. In ein paar Jahren, sagt er, ist es vielleicht sowieso schon ganz vorbei mit ihm.
Zurück vor Ort: Auf dem Spielplatz spielt niemand
Eine Frau mit einem Kopftuch schiebt einen Kinderwagen über die Wege, die entlang der Weißen Riesen gezogen sind und breit sind wie Straßen. An der Hand hält die Frau einen Jungen, vielleicht vier oder fünf Jahre alt. Sie spricht Arabisch mit ihm.
Sie sei Flüchtling, sagt sie, aus Syrien. Sie lebe seit einem Jahr in einem der Riesen, auf der achten Etage. Sie lächelt. Der Junge löst sich von der Hand, geht zum Spielplatz. Das Kind im Kinderwagen, ein Mädchen, schläft. Sie habe in einem Hotel gearbeitet, sagt die Frau, in einem Haus mit Garten gelebt. Ihr gefallen die Riesen, sie mag den Ausblick. Aber wenn ihr Mann seine Ausbildung geschafft hat und einen Job hat, hofft sie, dass sie sich was anderes suchen. Sie nickt, dann schiebt sie ihren Kinderwagen ein Stück weiter und setzt sich auf eine Bank.
Sie weiß nicht, wie sehr sie mit ihrer Biographie und ihren Wünschen für die Zukunft zu den Riesen passt. Spätestens seit den neunziger Jahren sind die Riesen zu einem Ankunftsort geworden, zu einem Ort, in den Einwanderer nach ihrer Ankunft in einem neuen Land ziehen, weil sie dort für den Anfang finden, was sie brauchen: Infrastruktur, niedrige Mieten, Menschen ihren Ursprungs und ihrer Sprache. Ein Ort aber auch, an dem die Einwanderer nicht vorhaben lange zu bleiben.
Zunächst waren die Weißen Riesen ein Ankunftsort für Russlanddeutsche, dann für Flüchtlinge aus dem Irak-Krieg, heute für Flüchtlinge aus Syrien und Rumänen und Bulgaren, die ihre Heimat verlassen haben. Es gibt viele, die in den Weißen Riesen angekommen sind und es von dort geschafft haben, sich hochzuarbeiten. Sie sind Anwälte geworden, Ärzte, Geschäftsmänner, sogar Bundestagsabgeordnete. Doch sie haben die Riesen längst verlassen. Zurückgeblieben sind die, die es nicht geschafft haben, die von Hartz IV leben oder von Witwenrente und die eine Mietsteigerung von 80 Euro monatlich in eine Katastrophe stürzen würde.
Nur die wenigsten leben, wie Jürgen, in einem der Riesen, weil es ihnen dort so gut gefällt. Die Riesen sind ein Ort zum Anfang, ein Ort, an dem man Sehnsüchte nach anderen Orten entwickelt. In den Weißen Riesen reicht diese Sehnsucht manchmal keine 50 Meter weit, bis dorthin nämlich, wo der Rote Riese steht. Der Rote Riese war mal ein weißer Riese, der das Schicksal mit seinen Geschwistern teilte. Er verfiel, zog kaum noch Publikum an, und wenn doch, dann das falsche. Aber heute wartet der Rote Riese nicht, wie die anderen, auf seinen Abriss, nein. Vor einigen Jahren wurde er gekauft, rot angestrichen, auf den neuesten Stand gebracht und mit einer Caritas-Station ausgestattet. Diese Caritas-Station sorgt dafür, dass alles funktioniert im Roten Riesen, vor allem zwischen den Menschen. Seitdem ist der Rote Riese das eine Kind, das es geschafft hat, das seinen weißen Geschwistern genau das jeden Tag aufs Neue vorhält.
Viele Bewohner der Weißen Riesen würden gerne im Roten Riesen wohnen. Doch obwohl er kaum sechs Euro den Quadratmeter kostet: Er ist zu teuer. Und so bleibt ihnen nur der Blick auf den Roten Riesen, von ihren Balkons aus, vom Spielplatz, von den Bänken im Park. Die Träume in den Riesen sind klein, aber für die meisten ihrer Bewohner sind sie zu groß, und sie haben sich sowieso ihr Leben lang daran gewöhnt, dass sich ihre Träume nicht erfüllen.
Ein Treffen mit einer Bewohnerin
Frau Hoffman, sagt die Frau, sie heiße Frau Hoffmann und wohne in der 19. Etage des Hauses Ottostraße 56. Frau Hoffmann ist eine kleine Frau mit kurzen, roten Haaren, die eine abgerissene Biker-Jacke trägt und an ihrer rechten Hand einen weißen Hund durch die Parkanlage um das Haus führt. Frau Hoffmann ist verwitwet, in Duisburg-Hochheide geboren und hat in ihrem Leben in sehr vielen Häusern gelebt – darunter auch dreimal in einem Weißen Riesen. Sie hat also Erfahrung.
Zuletzt hat Frau Hoffmann in einem Weißen Riesen gelebt, als ihre Tochter grade acht Monate alt war. Es lebte sich gut damals im Weißen Riesen, aber Frau Hoffmann glaubte, dass es noch besser ging, und zog nach Moers. Dort lebte sie mit ihrer Tochter bis vor sechs Jahren. Da suchte sich ihre Tochter eine eigene Wohnung, und Frau Hoffmann beschloss, unter anderem wegen der verrückt teuren Nachtspeicher-Heizung in ihrer Moerser Wohnung, auszuziehen. Als sie sich auf die Suche machte, erinnerte sie sich an die Weißen Riesen und daran, wie nett es dort gewesen war. Sie schaute nach, fand, selbstverständlich, eine Wohnung und zog um. So lebt Frau Hoffmann seit sechs Jahren in einem der Riesen, und eigentlich hatte sie auch nicht vor, daran sobald etwas zu ändern, eigentlich.
Wie alle anderen an der Ottostraße 54–56 hat sie vor einiger Zeit erfahren, dass ihr Haus wohl bald abgerissen wird. Frau Hoffmann ist daraufhin zu einer Versammlung gegangen, auf der die Stadt über ihre Pläne für den Riesen sprechen wollte.
Frau Hoffmann hatte vorgehabt, ruhig und konstruktiv vorzugehen, erzählt sie. Aber als sie sah, wie die Politiker über ihr Zuhause sprachen mit einem leichten Lächeln, warf sie ihre Vorsätze über Bord und fing Streit an. Da sie bei diesem Streit keiner unterstützte, hat Frau Hoffmann seitdem auch noch einen Hass auf ihre Nachbarn, so erzählt sie es. Frau Hoffmann steht ziemlich allein da, und die 19. Etage eines Riesen scheint genau der richtige Ort für sie zu sein.
Nur: Nicht mehr allzu lange wird er das sein. Dann muss auch Frau Hoffmann weg, und sie weiß nicht, wohin. Von Frau Hoffmann kann man lernen, wie selbst der Weiße Riese in Gruppen eingeteilt ist: Da gibt es die Deutschen, die sich gut benehmen können und durch allerlei Unglücke im Riesen gelandet sind oder nicht mehr dort rauskommen. Da gibt es die Einwanderer, mit denen Frau Hoffmann nichts anfangen kann, die sich aber auch nicht daneben benehmen. Und dann gibt es die Einwanderer, die sich, so findet Frau Hoffmann, danebenbenehmen. Mit denen möchte sie auf keinen Fall etwas zu tun haben, und zu tun haben bedeutet in diesem Fall, dass Frau Hoffmann nicht mit ihnen in einem Haus wohnen möchte.
Da das schwierig wird in Duisburg, plant auch Frau Hoffmann, im Weißen Riesen Ottostraße 54–56 zu bleiben, bis es nicht mehr geht.
Einige Stockwerke unter Frau Hoffmann, in der 15. Etage, wohnt Ursula Lauert. Sie ist ebenfalls verwitwet, ihr Mann ist vor zwei Jahrzehnten bei einem Abriss gestorben. Sie lebt allein mit zwei Hunden und zwei Graupapageien in einer der großen Wohnungen der Riesen, seit zweieinhalb Jahren. Die Wohnungen, sagt sie, seien schön und altersgerecht, die Nachbarschaft hervorragend. Als sie zuletzt ins Krankenhaus musste, erzählt sie, habe sie ihren Schlüssel einfach einem Nachbarn gegeben. Der schaute dann nach dem Rechten.
Doch auch Lauert muss den Riesen jetzt verlassen, und leicht fällt ihr das nicht: Wegen der Graupapageien, die immer wieder kreischen, findet sie keine neue Wohnung. „Im Moment habe ich ein bisschen resigniert“, sagt sie. Sie weiß, was ihr droht, wenn sie keine Unterkunft findet: Obdachlosigkeit.
Der erste Riese ist schon nackt
Der erste Riese, der fallen wird, ist der an der Friedrich-Ebert-Straße 10–16. Er ist schon nackt, seit Monaten wird er entkernt, Wände, Türen, Böden werden herausgeschnitten. Von außen sieht er aus, als würde sich hinter jedem Fenster ein schwarzer Schlund eröffnen. Nächste Woche Sonntag wird der Sprengmeister die Sprengladungen anbringen. Er hat Monate damit verbracht, sich die richtigen Stellen auszusuchen. Nun ist es so weit. Vor dem Riesen, getrennt von Bauzäunen, werden die Schaulustigen stehen, die, die seit Jahren darauf warten, dass der Riese verschwindet, vielleicht auch die, die in diesem Riesen aufgewachsen sind und sich verabschieden wollen.
Wenn alles bereit ist, wird der Sprengmeister einen Knopf drücken und der Riese wird in sich zusammenfallen, verborgen von einer riesigen Wolke aus Staub. Und wenn diese Wolke sich öffnet, wird da nichts mehr sein außer Schutt und Stein.
Quelle: F.A.S.
Veröffentlicht: 22.03.2019 16:12 Uhr
