Hip-Hop in Palästina : Massiv verunsichert
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Rapper Massiv will im Westjordanland nicht in ein falsches Licht gerückt werden Bild: Svenja Kleinschmidt
In Deutschland ist der Berliner Massiv als Gewalt-Rapper bekannt. Bei seinen Auftritten im Westjordanland lernt er eine neue Dimension kennen. Als andere Künstler Selbstmordattentate preisen, will er wieder abreisen.
An diesem Abend begegnet Massiv seiner Heimat. Der Rapper mit palästinensischen Wurzeln steht in Bethlehem, als drei Jungen aus Berlin auf ihn zustürmen. Nach drei Tagen in einem fremden Land ist da endlich was, das er kennt. „Hey, cool, ihr seid aus'm Wedding? Was macht ihr hier?“, fragt Massiv. „Wir wohnen seit drei Monaten in Bethlehem“, sagt der 15 Jahre alte Bilal. Zusammen mit seinen jüngeren Brüdern Adnan und Esat ist er in das Kulturzentrum gekommen, weil ihr Idol hier auftreten wird. „Massiv versteht einen irgendwie. Er singt von Gewalt, weil es sie gibt“, sagt Bilal, „nerven tut sie trotzdem.“
Massiv tourt im Rahmen der „European Palestinian Hip Hop Tour“ mit europäischen und palästinensischen Rappern durch das Westjordanland. „Den Menschen hier soll Rap als Ausdrucksform nahegebracht werden“, sagt Farid Majari, der Direktor des Goethe-Instituts in Ramallah, das Massivs Reise gefördert hat. Es ist das erste Mal, dass Massiv durch das Gebiet fährt, aus dem seine Großeltern stammen. „Man ist immer Palästinenser“, sagt der Sechsundzwanzigjährige. „Das kann man nicht wegwaschen.“
Der Gewalt-Rapper schmollt
Doch der Rapper wirkt zwischen den anderen arabischen Musikern wie ein Außenseiter. Während sich einige auf der Bühne immer kämpferischer propalästinensisch gebärden, überlegt Massiv, wieder abzureisen. Die Konzerttour verläuft auf einem schmalen Grad zwischen Party und Politparolen. Morgens vor seiner Fahrt nach Bethlehem hat Massiv von den Schlagzeilen in Deutschland gehört. „Gewalt-Rapper als Friedensbotschafter“, heißt es dort kritisch über seine Auftritte in Jenin, Nablus und Ramallah. Zeilen aus seinen Songtexten werden zitiert, in denen es um Blut geht, um Rache und den ehrenvollen Tod für Allah. Massiv sitzt den ganzen Tag meist still in einer Ecke: Der Gewalt-Rapper schmollt. Immer wieder wird auf diesen Sätzen herumgeritten.
Doch jemand, der darüber singt, Kiefer zu brechen, kann schwer mit Verständnis rechnen, wenn er sich missverstanden fühlt. Andererseits sind es nur einige provokante Textstellen. Das junge Publikum in Palästina jedenfalls hetzt er nicht auf. Am ersten Abend in Jenin springen die arabischen Jugendlichen von ihren Plastikstühlen, sie johlen, recken die Arme hoch, bilden eine Polonaise. Ein Konzert, noch dazu Hip-Hop, haben die Jugendlichen hier noch nie gesehen. So etwas gibt es nicht in dieser Stadt, die von der Hamas regiert wird und seit der zweiten Intifada im Jahr 2000 sowie dem Bau der Trennmauer zwischen Israel und dem Westjordanland kulturell verarmt und politisch-religiös fanatisiert ist.
Liebeskitsch statt harter Worte
Zum Konzert sind auch Mädchen ins „Haddad Village“ außerhalb Jenins gekommen. Sie mischen sich unter die Jungs, wippen zur Musik. Massiv steht auf der Bühne, hinter ihm künstliche Säulen wie in einem Amphitheater. Er rappt auf Deutsch, doch die Menge tobt. Zuvor wurden im Publikum Heftchen mit Übersetzungen der Songs verteilt, nun wissen alle, worüber er singt: „Wir sind alle gleich, alle eins / Wir haben einen Gott, ein Leben, einen Raum, eine Zeit.“ Gangster-Rap braucht hier niemand, meint Massiv: „Das Leben dieser Leute ist schon krass genug.“ Noch nie wurde eines seiner Konzerte wie heute mit Maschinengewehren bewacht, er hat Respekt, vielleicht sogar ein wenig Angst. Auf der Bühne rappt er: „Deine Augen sind noch heller als die Sterne, die vom Himmel fallen.“ Liebeskitsch statt harter Worte - für die dänische Tourorganisatorin Janne Louise Andersen dienen die Konzerte auch dazu, die Rapper aus Europa in Palästina zu läutern: „Hier sehen sie, wie wenig ihr europäisches Zuhause ein Ghetto ist.“