Grubenunglück von Luisenthal : Tödlicher Sternhimmel im Schacht
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Nieselwetter herrschte am Mittwoch, dem 7. Februar 1962, im Völklinger Stadtteil Luisenthal. Doch der Tag sollte nicht als grau, sondern als schwarz in die Geschichte eingehen. Gegen 7.45 Uhr war in der Steinkohlegrube ein Knall zu hören. Kurz danach flog der tonnenschwere Schachtdeckel des Alsbachfeldes meterhoch in die Luft und blieb in dem darüber stehenden Gerüst hängen. Dann drang schwarzer Qualm aus dem Schacht. Er war das tagelang sichtbare Zeichen für das Unglück unter Tage.
Ambulanzen und Feuerwehren rasten zur Grube, und das Knattern von Hubschraubern hallte in den Straßen wider. Doch das bis dahin zweitschwerste Grubenunglück im Nachkriegsdeutschland war nicht mehr zu verhindern. Mehr als 600 Meter unter der Erde war es zu einer Schlagwetterexplosion gekommen. Ihr folgten mehrere Kohlenstaubexplosionen. Überlebende berichteten von einem Schacht voller Funken, „schöner als jeder Sternhimmel“, und einem Flammeninferno, das wellenförmig auf sie zu kam. 664 Bergleute waren unter Tage, 299 von ihnen kamen ums Leben, 73 wurden zum Teil schwer verletzt. Das jüngste Opfer war 16, das älteste 59 Jahre alt.
Warum es zu der Explosion kam, ist nie geklärt worden. Für Gerhard Thurn, einen ehemaligen Bergmann der Grube Luisenthal, ist das verständlich, sind doch alle, die Auskunft darüber geben könnten, bei dem Unglück umgekommen. So wie auch seine fünf Kollegen, mit denen er im Alsbachfeld arbeitete. Thurn war nicht in der Grube, weil er zwei Tage vorher eine Zahnoperation hatte. Als er von dem Unglück hörte, fuhr er sofort hin. Er gehörte zu denjenigen, die in den verwüsteten Schacht hinabstiegen, um in dem Chaos die Opfer zu bergen. Viele waren bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Erst nach Stunden fanden sie einen Überlebenden. Es sollte der letzte sein, der aus dem Schacht geborgen wurde.
Viele Angehörigen warteten bang an der Grube. Erst war von elf Toten, am Abend schon von mehr als 200 die Rede. Verzweifelte Ehefrauen versuchten, die Halle zu stürmen, in der die Toten lagen, um Gewissheit zu erlangen. Aber erst 24 Stunden später wurden die ersten Totenlisten herausgegeben. Sie wurden mit jeder Stunde länger. Beim Schlagwetter reicht oft ein Funke, um das Gemisch aus Grubengas und Sauerstoff zu entzünden. Aber woher kam der Funke in Luisenthal? Hatte sich ein Bergmann verbotenerweise eine Zigarette angezündet? Bei den Aufräumarbeiten wurden Zigaretten gefunden. War eine Grubenlampe defekt und hatte die Heizwendel das Gasgemisch entflammt? Die erste Explosion führte dazu, dass sich Kohlenstaub entzündete und den Schacht in ein Inferno verwandelte.
Hubert Kesternich sah die Auswirkungen des Feuers. Der heute 68 Jahre alte ehemalige Bergmann arbeitete als Vermessungshelfer in der Grube. Es war Zufall, dass er an dem verhängnisvollen Mittwoch nicht im Alsbachfeld war. So bekam er von der Explosion unmittelbar nichts mit. Erst als alle Arbeiter gegen zehn Uhr aus der Grube kommen sollten, sah er, was passiert war. Auf dem Weg zum Schacht wurde er von Rettungstrupps überholt. Aus der anderen Richtung kamen ihm Überlebende entgegen. Weil er in der gesamten Grube arbeitete und viele Bergleute kannte, musste der damals 18 Jahre alte Kesternich mit ein paar anderen die Toten identifizieren.
In der Nacht zum 8. Februar waren bis zu 250 Opfer aus dem Schacht geborgen, in einer großen Halle auf den Boden gelegt und mit Decken verhüllt worden. Kesternich ging mit seinen Kollegen von einem Opfer zum anderen und hob die Decke an. Zu einigen legten sie ein Namensschild, viele aber waren nicht mehr zu erkennen. Den Anblick hat Kesternich nicht vergessen. Damals konnte er drei Tage lang nichts essen.
Die große Zahl der Opfer, so meint er, wäre zu vermeiden gewesen, wenn alle Sicherheitsvorschriften eingehalten worden wären. Behälter mit Steinstaub, die unter der Decke aufgehängt werden und eine Kohlenstaubexplosion verhindern sollen, seien teilweise nicht vorhanden oder kaum befüllt gewesen. Zu viele Leute waren in einer Abteilung eingesetzt. Und der erhöhte Methangasaustritt bei Bauarbeiten sei nicht überwacht worden.
All das kam auch im Bericht des Landtags-Untersuchungsausschusses vor. Zwar wurden 13 Männer angeklagt. Doch keiner von ihnen war für Sicherheits- und Abbaubestimmungen verantwortlich, alle wurden freigesprochen. Die Verantwortlichen hätte man nach Meinung Kesternichs beim Grubenbetreiber, den Saarbergwerken, gefunden. Immerhin folgten aus dem Unglück, so Gerhard Thun, der auch nach der Katastrophe weiter in der Grube arbeitete, verbesserte Sicherheitsmaßnahmen. Die Kumpel zahlten damals einen „Blutzoll“, damit es anderen nicht genauso ergehe. An diesen „Blutzoll“ erinnerten am Dienstag 1300 Menschen, die zum Gedenkgottesdienst nach Luisenthal kamen. Es ist ein Abschied in doppelter Hinsicht, denn in diesem Jahr wird der Bergbau im Saarland ganz aufgegeben.