Gletscher Okjökull : Das Eis verlässt Island
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Links: Luftaufnahme des Okjökull am 14. September 1986. Rechts: 1. August 2019 Bild: dpa
Die Gletscherschmelze ist ein eindrückliches Merkmal der Klimaerwärmung: Der einstige Gletscher Okjökull auf Island ist heute keiner mehr. Die isländische Ministerpräsidentin appelliert an die Weltgemeinschaft.
Islands Aussehen ist seit jeher geprägt von Feuer und Eis: Der Vulkanismus hat die Insel im Nordatlantik geschaffen, das Gesicht des Landes ist geprägt von gewaltigen Eismassen – fast elf Prozent der Vulkaninsel sind von Gletschern bedeckt. Seit Jahrhunderten liefert diese Landschaft Stoff für Erzählungen. Ob in den altnordischen Isländersagas oder in der Literatur des Nationaldichters Halldór Laxness. Der Autor Jule Vernes verortet gar unter dem isländischen Gletscher Snæfellsjökull im Vulkankrater den Einstieg zur Unterwelt. Oder auch als 2010 der isländische Vulkan Eyjafjöll für Wochen den nord- und mitteleuropäischen Flugverkehr lahmlegte, als es zur Eruption unter dem Gletscher Eyjafjallajökull kam und Nachrichtensprecher weltweit an der Aussprache des isländischen Vulkans verzweifelten.
Doch gerade dieses markante Erscheinungsbild des Landes ist nun in Gefahr, denn mehrere isländischen Gletscher sind im Begriff abzutauen, so wie zahlreiche weitere Gletscher rund um die Welt. Bereits 2014 wurde der erste isländische Gletscher für tot erklärt: Der Okjökull, einst eine gewaltige Eiskappe auf dem Vulkan Ok im Westen des Landes, die nach Angaben der amerikanischen Weltraumbehörde Nasa 1901 noch eine Fläche von 38 Quadratkilometern hatte – größer als die ostfriesische Insel Borkum –, war inzwischen auf weniger als einen Quadratkilometer geschrumpft.
Damit ein Gletscher als solcher bezeichnet wird, muss sich die Masse aus Eis und Schnee durch ihr eigenes Gewicht den Berg hinabbewegen. Große Gletscher fließen so mehrere Meter am Tag Richtung Tal. Die Eismassen des Okjökull waren vor fünf Jahren jedoch bereits so weit zurückgegangen, dass der Gletscher aufhörte sich zu bewegen und ein Gletscher, der nicht mehr massereich genug ist, um zu fließen, wird für tot erklärt: Wo sich einst dutzende Meter dicke Eisplatten den Vulkan runterschoben, gibt es heute bloß noch einen von Eis gesäumten Kratersee – der höchste See Islands auf mehr als 1100 Metern.
335 Milliarden Tonnen Eis schmelzen pro Jahr
Diesen besorgniserregende Rückgang beschreibt die isländische Ministerpräsidentin Katrín Jakobsdóttir in der „New York Times“ als ein „weiteres Zeugnis des irreversiblen globalen Klimawandels“. Zusammen mit einer Gruppe von Künstlern und Wissenschaftlern, begleitet von der 75 Jahre alten Klimaaktivistin und ehemaligen irischen Präsidentin Mary Robinson, will sich Jakobsdottir an diesem Sonntag auf dem Weg zum Vulkan Ok und dem einstigen Gletscher machen, um sich von diesem zu verabschieden.
An den inzwischen fast gänzlich geschmolzenen Gletscher soll fortan ein Grabstein erinnern, den die Expedition aufstellen wird. Auf isländischer und englischer Sprache ist darauf ein „Brief an die Zukunft“ formuliert, eine eindringliche Mahnung an künftige Generationen: „Ok ist der erste isländische Gletscher, der seinen Status als Gletscher verliert. Es wird erwartet, dass in den nächsten 200 Jahren alle unsere Gletscher den gleichen Weg gehen. Dieses Denkmal soll deutlich machen, dass wir wissen, was passiert und was getan werden muss. Nur ihr wisst, ob wir es geschafft haben.“
Islands Gletscher sind im Lauf der Geschichte gewachsen, bis sie um 1890 ihre maximale Größe erreichten. Seitdem sind sie mit nur kurzen Umkehrperioden kontinuierlich zurückgegangen. In den letzten 20 Jahren ist dieser Prozess besonders schnell vorangeschritten. Doch das Phänomen der Gletscherschmelze betrifft nicht nur Island. Ein Forschungsteam um Michael Zemp von der Uni Zürich ermittelte im April dieses Jahres, dass der globale Eisverlust derzeit bei 335 Milliarden Tonnen Eis pro Jahr liege. Das entspreche rund drei Mal dem verbleibenden Gletschervolumen der europäischen Alpen.
Seit 1961 sind somit nach Angaben der Uni Zürich mehr als 9000 Milliarden Tonnen Eis verloren gegangen und der Meeresspiegel um 27 Millimeter angestiegen. Besonders betroffen waren davon die Gletscher in Alaska, gefolgt von den patagonischen Eisfeldern und den arktischen Gletscherregionen. Weltweit gibt es etwa 200.000 Gletscher, die 70 Prozent des Süßwassers der Welt speichern und damit nach den Ozeanen die größten Wasserspeicher der Erde sind. Das Abschmelzen der Gletscher und des Permafrostes bezeichnet Jakobsdóttir als ein visuelles Thermometer unserer Erde, dass zu einem enormen Anstieg der Meeresspiegel führen wird. Setzt sich diese Entwicklung fort, warnt sie, könnte auch Islands Erscheinung sich in wenigen Jahrzehnten radikal ändern: „Das Eis verlässt Island.“
„Helft uns, das Eis in Island zu halten“
Jakobsdóttir sieht den Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel als wichtige Aufgabe der Politik, ihr Land soll bis spätestens 2040 klimaneutral sein. Zusätzlich drängt sie auf ein Verbot von Fahrzeugen, die sich nicht aus erneuerbaren Energien speisen bis 2030.
Für sie hat die Klimakrise jedoch eine weitaus größere Dimension: „Bei all unseren Aktionen gegen den Klimawandel müssen wir für Klimagerechtigkeit kämpfen. Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und Gleichstellung der Geschlechter sind eng mit dem Kampf verbunden, da der Klimawandel die Armen mehr als die Reichen, die Benachteiligten mehr als die Privilegierten und die Frauen anders als die Männer betrifft.“ Als isländische Ministerpräsidentin sei sie fest entschlossen, dass die isländische Regierung ihren Teil dazu beitragen werde, die CO2-Emissionen zu senken, um die Klimakatastrophe abzuwenden.
An die Weltgemeinschaft richtet sie eine eindringliche Aufforderung: „Heute gedenken wir Ok. Gleichzeitig müssen wir uns zusammentun, um künftige Abschiede von allen Gletschern der Welt zu verhindern. Große und kleine Nationen, Unternehmen und Regierungen, Einzelpersonen und Gemeinschaften – wir müssen unsere Rolle spielen. Wir wissen, was passiert und was getan werden muss. Helft uns, das Eis in Island zu halten.“