Kinder im Krankenhaus : Mama, was ist ein Blinddarm?
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Erziehungsstandards auch mal missachten
Auch der Anblick eines aschfahlen Patienten verunsichert, an dessen Rollstuhl ein Beutel mit angsteinflößender Flüssigkeit baumelt, oder die Kranke, die mit Infusionsständer über den Gang zuckelt. Kinder haben viele Fragen, Eltern sollten antworten.
Im Krankenhaus dürfen Erziehungsregeln vorübergehend außer Kraft gesetzt werden. „Spielkonsolen auf den Stationen werden sehr gut angenommen“, beobachtet der promovierte Psychologe leicht belustigt. Er plädiert dafür, „alle Möglichkeiten zur Ablenkung zu nutzen, das ist wichtig und sollte man nicht zu restriktiv behandeln. Es ist eine Ausnahmesituation mit Ausnahmevergünstigungen.“ Es ist besser, sich zu beschäftigen, als nur über Krankheit zu sinnieren. „Das dient nicht der Gesundung.“
Ein guter Aufenthalt erfordert Vorbereitung. Manchmal aber ereignet sich ein Unfall, oder es erwischt eine Familie im Schlaf. So wie bei Adrian, einem Grundschüler aus München, dessen Eltern nicht mit Namen zitiert werden wollen. Vor allem die Mutter nicht, „wer weiß, wie oft wir noch auf die Dienste der Ärzte angewiesen sind“. Ihr Achtjähriger gehört der Ein-Indianer-kennt-keinen-Schmerz-Fraktion an. Kratzer ignoriert er nicht mal, Schürfwunden schimpft er aus. Für Tränen hat er meist keine Zeit. Aber der zwickende, dann übelst pochende Bauch mitten in der Nacht, der war zu viel.
Der Vater, sonst von der robust-unerschrockenen Sorte, war sofort hellhörig, weil er als 24-Jähriger fast an einem Blinddarmdurchbruch gestorben wäre, drei hässliche Narben zeugen noch Jahrzehnte später von Drainage-Schläuchen. Die Hausärztin hatte fälschlicherweise eine Magen-Darm-Grippe diagnostiziert. „Mich hätte das beinah das Leben gekostet“, sagt der Betriebswirt und mit Nachdruck: „Mit Adrian passiert das nicht.“
Das Kuscheltier und die OP-Nachricht treffen ein
Als sich das Kind um Mitternacht vor Bauchschmerzen wand, zögerten die Eltern nicht und wählten die 112. Wenige Minuten später war der Rettungswagen da. Um ein Klinikköfferchen zu packen, blieb keine Zeit. Der Vater durfte mitfahren und ärgerte sich nach seiner bitteren Blinddarmgeschichte über den für seinen Geschmack „etwas zu abgebrühten Arzt“. Der fragte misstrauisch, ob der Junge nicht simuliere, das kenne er von seiner gleichaltrigen Tochter und ihrem Aua-Bauch bei akuter Schulunlust. Adrians Vater fand das nicht witzig: „Warum sollte mein Kind simulieren? Der geht gerne in seine 2 C. Außerdem ist morgen Samstag!“
Die nächtliche Fahrt in ein Münchener Krankenhaus verlief reibungslos. Der Rettungssanitäter steuerte gelassen durch die Millionenstadt, der Notarzt meldete im fensterlosen Abteil die Ankunft: Er erkennt die jeweiligen Krankenhäuser am Schwellengeräusch der Notaufnahme-Einfahrten. „Wäre das nicht zu makaber, wäre das ein ,Wetten, dass?‘-Kandidat“, lobt Adrians Vater. Das Kind lag friedlich, obwohl die Tour von Schmerzen überlagert war. Die Ruhe der Männer übertrug sich.
Trotzdem, so berichtet der Vater, war die Nacht für ihn und den Sohn aufregend: Es ging in teils unterirdischen Gängen von einer Untersuchung zur nächsten, die Schwestern waren freundlich, die jungen Stationsärzte unsicher. Ein Zimmer für Vater und Sohn wurde aufgetan, in aller Frühe traf die Mutter mit Koffer und Kuscheltier ein und der Oberarzt eine Entscheidung: Wir operieren!
Auch Narben haben ihren Reiz
Während der Vater in den Papierkrieg zog, betete die Mutter. „Ich renne sonst nicht die Kirche ein, aber Beten hilft immer.“ Alles lief gut. Das Kind war enttäuscht, dass es seinen Blinddarm nicht sehen, geschweige denn mitnehmen durfte. Wie gern hätte er die Angebertrophäe vorgeführt! Der Arzt fand die Neugier sympathisch. Gemeinsam bewunderte man die Narben. Drei kleine Stellen verraten den minimalinvasiven Eingriff. Nicht unbedingt das schönste Ferienerlebnis, aber nachhaltig.
Klinikpsychologe Roschmann hält die Appendix-Nachbereitung nicht für Folklore. „Ist das Kind zu Hause, sollten Eltern bereit sein, über die Zeit zu sprechen, genau zuhören und beobachten, gibt es eine Verhaltensänderung oder zum Beispiel die Angst, die Krankheit könnte wiederkommen.“
So verliert der Krankenhausaufenthalt an Schrecken
Falls möglich, sollte Vater oder Mutter beim Kind übernachten. Abwägen, wer entspannter mit der Situation umgeht.
Kommunikation ist alles: Dem Kind den Kosmos Krankenhaus erklären. Bilderbücher, ein Spiel-Arztkoffer und ein Teddy mit Verband leisten gute Dienste. Manche Kliniken bieten Kindertage an, bei denen Stofftiere verarztet werden.
Medizinische Details über die Behandlung mit dem Arzt allein besprechen, dann in einfachen Worten mit dem Kind.
Etwas Vertrautes mitnehmen, Kuscheltier, Familienfotos, vielleicht ein Lieblingskissen, das nach zu Hause riecht.
Bei alltäglichen Verrichtungen helfen, beim Waschen assistieren, gemeinsam mit dem Kind essen, um die Fremdheit zu nehmen.
Für Ablenkung und Zeitvertreib sorgen, Spiele, Bücher, Nintendo einpacken. Erlaubt ist, was gefällt, das ist eine Ausnahmesituation. So ist von mancher Wunderheilung zu hören, weil ein Fernsehbildschirm gemietet wurde ohne übliche Zeitvorgabe. Fürs Medienfasten ist ein Krankenbett ein denkbar ungünstiger Ort. Daheim gelten andere Regeln.
Schüchterne Kinder ins Spielzimmer begleiten, hier ist es nicht übergriffig, Kontakte zu Mitpatienten herzustellen.
Geschwister nicht vernachlässigen, sondern miteinbeziehen und die Lage erklären, um angstmachenden Spekulationen vorzubeugen. Um sie muss sich jemand kümmern.
Besuche von Freunden und Verwandten planen und Regie führen. Von Menschentrauben ums Bett wird keiner gesund. Dann lieber mit dem Patenonkel Pizza aus dem Karton schmausen, wenn der Arzt das erlaubt und Mama ins Büro muss.