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Zahlen aus drei Bundesländern : Welche Auswirkung hat die Pandemie auf die Suizidrate?

Die Corona-Krise hat den Menschen psychologisch stark zugesetzt, trotzdem hat sich die Anzahl der Selbsttötungen 2020 bis 2021 nicht erhöht. Bild: dpa

Die Anzahl der Selbsttötungen hat sich in den Pandemiejahren 2020 bis 2021 nicht erhöht – auch nicht die Rate bei Kindern und Jugendlichen. Die Forscher haben dazu die Daten der Kriminalstatistik von drei Bundesländern untersucht.

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          In Deutschland ist für den Pandemiezeitraum von Januar 2020 bis zum Dezember 2021 – zumindest in drei Bundesländern – keine Zunahme der Suizide zu beobachten. „Krisenzeiten können die Suizidraten beeinflussen. Bislang hat sich dies jedoch für die Corona-Pandemie laut internationaler und nationaler Studien ganz überwiegend nicht bestätigt. Auch unsere aktuelle Studie zeigt keine signifikante Zunahme der Suizide in Deutschland“, sagt Christian Bachmann, Professor für Kinder- und Jugendpsychiatrie, der am Universitätsklinikum Ulm forscht, der F.A.Z.. Er ist Mitautor der Studie „Suizide in Deutschland während der COVID-19-Pandemie – eine Analyse der Daten von 11 Millionen Einwohnern, 2017-2021“, die am Donnerstag im „Deutschen Ärzteblatt“ online veröffentlicht wurde. Die weiteren Autoren sind Daniel Radeloff, kommissarischer Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Leipzig sowie Jon Genuneit, Professor für Pädiatrische Epidemiologie an der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin der Universität Leipzig.

          Karin Truscheit
          Redakteurin im Ressort „Deutschland und die Welt“.

          Die Forscher haben die Suizidfälle der Polizeilichen Kriminalstatistiken (PKS) von Sachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein mit insgesamt elf Millionen Einwohnern im Zeitraum von Januar 2017 bis Dezember 2021 untersucht. Nach den Angaben ließ sich insbesondere eine generelle Erhöhung der Anzahl der Suizide älterer Menschen im Vergleich zum Zeitraum vor der Pandemie nicht nachweisen. Denn gerade hier habe man befürchtet, dass die möglichen negativen Folgen der Kontaktbeschränkungen – Vereinsamung und Depressionen – zu mehr Selbsttötungen führen könnten, so Bachmann. Die Studie zeigte allerdings einen Anstieg der Suizide bei den Männern, die älter als 90 Jahre alt waren. Nach den Angaben liegt jedoch generell für diese Altersgruppe aufgrund der Merkmale „männliches Geschlecht“ und „hohes Lebensalter“, die stark mit Suizid assoziiert seien, ein hohes Risiko einer Selbsttötung vor.

          Mehr Suizidversuche bedeuten nicht mehr Todesfälle

          Auch in der Altersgruppe der Kinder und Jugendlichen haben die Wissenschaftler keine erhöhte Suizidrate festgestellt. Dieses Ergebnis sei auch analog zu aktuellen Befunden aus Großbritannien zu sehen.

          Im Januar hatte jedoch eine Studie des Esseners Universitätsklinikums zu Suizidversuchen von Kindern und Jugendlichen Bestürzung hervorgerufen. Die Essener Forscher hatten damals die Daten von einem Fünftel der deutschen Kinderintensivstationen zugrunde gelegt. Festgestellt wurde dann eine fast „dreifache Zunahme“ der Suizidversuche bei Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren während des zweiten Lockdowns im Frühjahr 2021 – im Vergleich zu dem jeweiligen Zeitraum in den Jahren 2017 bis 2019. Wie ist also der Unterschied der Essener Studie zu der aktuellen Untersuchung zu erklären? Bachmann verweist zunächst darauf, dass Veränderungen bei der Anzahl der Suizidversuche sich nicht unbedingt auch direkt in einer Zunahme der vollendeten Selbsttötungen auswirken müssten. „Aus wissenschaftlichen Untersuchungen wissen wir, dass das Verhältnis zwischen Suizidversuchen und vollendetem Suizid bei 10 zu 1 bis 30 zu 1 liegt. Das ist schon einmal eine mögliche Erklärung.“ Zudem träfen im Jugendalter die höchsten Suizidversuchsraten in der Lebensspanne auf glücklicherweise niedrige Suizidraten. Das Verhältnis beträgt demnach vermutlich deutlich mehr als 100 zu 1. „Wenn die Suizidversuche zunehmen, heißt das zum Glück nicht zwangsläufig, dass dies auch zu erhöhten Todesfällen führt.“ Auch die niedrige Anzahl der Jugendsuizide könne zu abweichenden Befunden führen. „Weil der Anteil der Suizide von Kindern und Jugendlichen an der Gesamtzahl jährlicher Suizide vergleichsweise klein ist, können wir nur eine sehr starke Zu- oder Abnahme statistisch sicher erfassen.“

          Kein Anstieg der Suizidraten

          Generell verweist die Studie darauf, dass die Forschung zur Suizidalität von Kindern und Jugendlichen während der Pandemie kein einheitliches Bild zeichnet. So habe man zum Beispiel bei Jugendlichen in den USA eine Zunahme von Suizidgedanken gefunden. Auf eine „signifikante Abnahme“ von berichteten Suizidplänen hingegen verweise eine, wenn auch nicht repräsentative deutsche Stichprobe.

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