Tim Parks : Der bekehrte Skeptiker
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Meditation statt Schulmedizin: Tim Parks ist eins mit sich und seiner Umwelt Bild: Jan Roeder
Über Jahre litt Tim Parks, der Schriftsteller, an mysteriösen, schwer erträglichen Schmerzen. Er besiegte sie, indem er sich alternativen Heilmethoden öffnete. Parks ist überzeugt: Die meisten Krankheiten „sind eng mit der Art und Weise verbunden, wie wir heute leben“.
Die Prostata ist eigentlich so groß wie ein kleiner Apfel. Wird der Mann aber älter, dann wächst sie, wird faseriger und drückt auf die Harnröhre. Um diese Beschwerden zu lindern, kann man die Prostata von innen mit einem Laser weiten. Zugleich empfiehlt es sich, ein Stückchen des Schließmuskels am Blasenboden wegzubrennen, damit er sich richtig öffnet. Nach so einer Operation freilich kann es passieren, dass bei einem Orgasmus das Sperma nicht mehr nach oben durch den Penis austritt, sondern nach oben in die Blase schießt.
Die sensibelsten Leser haben sich an dieser Stelle womöglich schon verabschiedet: Lesen möchte man so etwas eigentlich nicht, schon gar nicht als Mann. Und auch Tim Parks, dem Schriftsteller, war es nicht wohl in seiner Haut, als ein befreundeter Chirurg ihm in ebenjenen Worten erklärte, was bei einer transurethralen Resektion der Prostata geschieht. Was also mit seiner eigenen Prostata geschehen würde, wenn er sich zu jenem Eingriff entschlösse, der sie lindern könnte, all die schwer erträglichen Schmerzen, unter denen er seit langem litt - „eine unterschwellige Spannung im ganzen Bauch, ein scharfes Stechen im Beckenboden, elektrische Schläge entlang der Innenseite der Oberschenkel, Kreuzschmerzen, ein Ziepen und Zwicken im Penis“. Lindern könnte, wohlgemerkt.
„Es geht mir gut“, sagt Parks und lächelt
Tim Parks hat sich nicht operieren lassen. Viereinhalb Jahre sind vergangen seit jenem Gespräch mit dem Chirurgen, das erst der Beginn sein sollte einer Odyssee auf der Suche nach Genesung. An diesem Sommertag hat sich Parks, der seit drei Jahrzehnten in Italien lebt, im Büro seiner Münchner Verlegerin eingefunden, um über sein neues Buch zu sprechen, und jene kurze Frage, die meist achtlos in den Raum geworfen wird, um ebenso knapp retourniert zu werden, hat in seinem Fall alles Floskelhafte verloren: Mister Parks, wie geht es Ihnen? „Es geht mir gut“, sagt Parks und lächelt.
Seine Schmerzen sind weg. Manchmal, da spürt er noch etwas, das er die „Schatten von Schmerzen“ nennt, aber es verschwindet rasch. „Sobald ich gelernt hatte, wie ich damit umgehen muss, war es kein Problem mehr. Es hörte auf, interessant zu sein.“ Das klingt so leicht, doch es war ein langer, steiniger Weg für Tim Parks. Wie steinig, das lässt sich nachlesen in seinem Buch, das „Die Kunst stillzusitzen“ heißt, Untertitel: „Ein Skeptiker auf der Suche nach Gesundheit und Heilung“.
Auf dieser Reise begleitet der Leser Parks unter anderem zu einer Zytoskopie - einer Blasenspiegelung. Der Patient Parks nimmt dabei mit entblößtem Unterkörper auf einer Art Gebärstuhl Platz und wird mit Gurten und Schnallen fixiert. Seine Füße stecken in Stiefelgestellen, und mit weit auseinandergespreizten Beinen wartet er darauf, dass ihm etwas Langes, Metallisches in die Harnröhre geschoben wird; Parks lässt es sich nicht nehmen, in seinem Buch die Sache mit Zeichnungen zu demonstrieren.
Kaum einer geht so weit wie Parks
In solchen Momenten gibt der Mensch nicht nur die Kontrolle, sondern auch einen Teil seiner Würde ab. Von Schriftstellern sagt man, sie ließen in ihren Werken ihr Publikum häufig in ihr Innerstes blicken, aber kaum einer geht so weit wie Parks, der uns nicht nur seine Seele öffnet, sondern über seine Prostata, seine Blase, seinen Darm schreibt. Das seien, sagt er, einerseits natürlich furchtbare Themen, andererseits sei es aber seltsam, wie sehr gerade sie tabuisiert würden: „Es ist leichter, über Folter im Irak zu sprechen als darüber. Und es ist sicher leichter für die Leute, Bücher über Serienkiller zu lesen, die Frauenkörper aufschlitzen, als über einen Männerkörper, dem ein Objekt in den Penis geschoben wird.“