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Interview : „Tiere sind Türöffner“

  • -Aktualisiert am

Ein Behandlungsteam: Stefanie Ruhfus mit zweien ihrer Therapiehunde. Bild: privat

Eine Ergotherapeutin über die Frage, wie Hunde oder Kaninchen Kranken helfen und warum gerade Kampffisch „Loui“ stumme Kinder zum Kommunizieren bringt.

          5 Min.

          Frau Ruhfus, Sie arbeiten in der Ergotherapie und setzen Tiere ein, unter anderem Fische. Man denkt, Therapietiere müssten ein kuscheliges Fell haben. Ist das ein Irrtum?

          Definitiv. Auch mit Fischen kann man vieles trainieren, zum Beispiel Fürsorge, Konzentration und Handlungsplanung. Unser Aquarium ist bei unseren Patienten sogar ausgesprochen beliebt. Vor allem „Loui“, unser asiatischer Kampffisch. Er ist bunt, und inzwischen lässt er sich sogar streicheln.

          Das klingt zwar nett. Aber wozu ist so eine glitschige Angelegenheit gut?

          Unsere Patienten haben körperliche, psychische und emotionale Probleme, da sind die Behandlungsziele sehr unterschiedlich. Kinder mit der Aufmerksamkeitsdefizitstörung ADHS zum Beispiel sind oft sehr zappelig. Nur wenn sie sich ganz ruhig bewegen, lässt sich Loui streicheln. Manchmal legt er sich sogar in die geöffnete Hand. Am Aquarium fällt es den Kindern leichter, ihre Unruhe zu zügeln. Hier macht es Sinn für sie, sich ruhig zu verhalten.

          Das heißt, Sie setzen die Tiere ein, nicht nur, damit Patienten sie streicheln und mit ihnen spielen, sondern um Ihre Patienten zur Kooperation, zu einer Therapie zu bewegen.

          In vielen Fällen könnte man das so sagen. Die Tiere schaffen Motivation für die Therapie.

          Woran leiden Ihre Patienten?

          Unter Entwicklungsstörungen aller Art. Zu unseren Patienten gehören Regelschulkinder mit Konzentrationsschwierigkeiten, aber auch junge Autisten oder Menschen mit Schwerst- und Mehrfachbehinderungen. Die meisten sind zwischen zwei und dreißig Jahre alt, aber wir haben auch einen älteren Demenzpatienten. Bei ihnen allen erleben wir, dass sich mit Hilfe der Tiere alles einfacher lernt. Die Tiere sind Eisbrecher und Türöffner.

          Wie hilft der Fisch Loui denn zum Beispiel Autisten?

          Viele Patienten mit autistischer Störung haben motorische Schwierigkeiten. Wenn sie die Fische füttern und dazu die Futterdose öffnen und schließen, üben sie ihre Auge-Hand-Koordination. Zudem merken sie, dass sie gebraucht werden. Das stärkt ihr Selbstbewusstsein. Oft können Autisten nicht sprechen, so wie die Tiere. Tiere einzubeziehen kann aber ein Anlass dazu sein, trotzdem zu kommunizieren. Sich auszudrücken ist ja immer auch ein Stück Lebensqualität...

          Moment bitte, das mit der Kommunikation müssen Sie genauer erklären.

          Einige unserer Patienten sprechen nicht. Manche, weil sie an einer autistischen Störung leiden, andere etwa aufgrund einer frühkindlichen Hirnschädigung. In vielen Fällen ist kaum erforscht, warum Menschen stumm sind; vielleicht wollen einige auch nicht sprechen. Wir zeigen ihnen dann alternative Kommunikationsmöglichkeiten, zum Beispiel Bildkarten. Darauf sind Aktivitäten zu sehen, mit denen wir sie animieren wollen, eine Wahl zu treffen. Sie können entscheiden, ob sie lieber mit dem Hund Ball spielen oder auf dem Pferd reiten möchten. Wenn es funktioniert hat, die Kinder über Bildkarten an Kommunikation überhaupt heranzuführen, geht es weiter. Später lernen sie, darüber auch anderes mitzuteilen. Zum Beispiel, dass sie Hunger haben.

          Aber es ginge vielleicht auch mit anderen Dingen, die Kinder zu einer Entscheidung zu bewegen. Zum Beispiel mit Gummibärchen oder Eis.

          Das mag sein, aber nur mit Tieren findet auch Interaktion statt. Tiere urteilen nicht und gehen von sich aus auf unsere Patienten zu, egal, ob sie krank sind oder klein. Wir würden nie ein Kaninchen oder ein Meerschweinchen nehmen und es den Patienten auf den Schoß setzen.

          Wir warten immer, bis sie auf unsere Patienten zugehen. Diese Akzeptanz ist für viele eine wichtige Erfahrung. Hier entstehen Sympathie und Empathie, ein offenes Therapie-Setting. Oft identifizieren sich unsere Patienten mit den Tieren.

          Identifikation? Mit einem Tier?

          Heimkinder erzählen wir zum Beispiel davon, dass auch manche unserer Kleintiere aus dem Tierheim stammen. Und unsere Labrador-Hündin Coco sieht aus, als hätte sie mit den Pfoten in einem Marmorkuchen gesteckt. Ein Züchter würde sagen, sie ist eine Fehlzüchtung, weil Labradore normalerweise einfarbig sind. Wir finden sie gerade deshalb besonders. Auch das erzählen wir.

          Sie arbeiten neben den Fischen auch mit Hunden, Pferden, Meerschweinchen und Kaninchen. Insgesamt halten Sie vierzehn Säugetiere. Ist es in der Therapie egal, welches Tier man einsetzt, oder helfen bestimmte Tierarten besonders gut gegen bestimmte Leiden?

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