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Therapie gegen Albträume : Etwa schlecht geträumt?

  • -Aktualisiert am

Hilfe gegen peinigende Albträume Bild: Ascot Elite Filmverleih

Menschen, die unter chronischen Albträumen leiden, kann schon eine kurze Therapie helfen. Sie soll den Horrorstreifen im Schlaf ein Ende setzen - indem die Patienten lernen, selbst ins Drehbuch einzugreifen.

          6 Min.

          Es ist dunkel und gespenstisch still, als sich Maja Ebner* auf den Weg zu ihrem Auto macht. Sie spürt, wie im Parkhaus jemand hinter ihr geht. Ihre Schritte werden länger. Auch der Fremde im Rücken läuft jetzt schneller, kommt näher und näher. Voller Panik rennt die Studentin los, um ihrem Verfolger noch irgendwie zu entkommen. Dann wacht Maja Ebner schweißgebadet auf. Wieder einmal. Mehrmals im Monat raubt dieser Albtraum der Zwanzigjährigen den Schlaf.

          Wie Maja Ebner werden manche Menschen im Dunklen verfolgt, andere begegnen furchterregenden Monstern oder verlieren einen geliebten Menschen: Träume, die Angst machen, die verwirren und voller Gewalt, Peinlichkeiten oder Ekel sind, gehören zum Leben. Während die meisten Kinder und Jugendlichen noch regelmäßig Albträume haben, geht deren Zahl im Normalfall immer weiter zurück, je älter man wird. Allerdings gibt es auch Menschen wie Maja Ebner, die unter chronischen Albträumen leiden; je nach Diagnosekriterium heißt das: über einen längeren Zeitraum mehr als einen Albtraum pro Monat oder pro Woche zu haben. Studien zufolge sind dies immerhin fünf Prozent aller Erwachsenen. Die meisten träumen von Dingen, die sie in der Realität niemals erlebt haben. Sie haben kein Trauma, keine psychische Erkrankung, die ihre schlimmen Träume mit erklären könnten. Auch Maja Ebner ging es eigentlich immer gut, bis ihre Albträume selbst tagsüber zur Belastung wurden. Wie gerädert, völlig erschlagen hat sich die Studentin nach solchen Nächten immer gefühlt.

          Albträume kein Thema in Therapie und Forschung

          Reinhard Pietrowsky, Professor für Klinische Psychologie an der Universität Düsseldorf, ist schon vielen Menschen wie Ebner begegnet. „Viele Betroffene haben wegen ihrer Albträume irgendwann Angst vor dem Schlafen, machen sich Sorgen, grübeln und fühlen sich erschöpft“, sagt er. „Trotzdem kommen die wenigsten auf die Idee, einen Therapeuten um Rat zu fragen, allenfalls Heilpraktiker oder Wahrsager.“ Vielleicht, weil die Geschichten von Monstern, Schlangen und Einbrechern manchmal einfach zu abstrus erscheinen. Oder weil sie wie Maja Ebner glauben, gegen böse Träume könne man ohnehin nichts machen.

          Reinhard Pietrowsky beschäftigt sich seit Mitte der neunziger Jahre schwerpunktmäßig mit dem Thema (Alb-)Traum. Dazu gekommen ist der Psychologe quasi selbst im Schlaf: Er hatte einen Albtraum, der ihn tagsüber einfach nicht mehr losließ. „Damals habe ich festgestellt, dass Albträume eigentlich überhaupt kein Thema in Therapie und Forschung sind, obwohl es relativ viele Patienten gibt, die darunter leiden.“

          Angstträume kommen meistens in der zweiten Hälfte der Nacht

          Albträume sind ein Phänomen mit vielen offenen Fragezeichen, und das, obwohl sich die Menschheit seit jeher mit ihnen beschäftigt. Bis heute gibt es nur Hypothesen über die Entstehung von Angstträumen. Ursprünglich wurde mit dem Wort „Alp“ ein böser weiblicher Geist bezeichnet, der sich nachts auf die Brust schlafender Menschen setzt, ihnen die Luft abdrückt und dadurch schlimme Träume hervorruft. Modernere Theorien reichen vom naturwissenschaftlich geprägten Ansatz, nach dem das Gehirn völlig willkürlich Bilder und Vorstellungen erzeugt und zusammensetzt, bis zum psychoanalytischen Erklärungsmodell, nach dem Träume unbewusste Konflikte widerspiegeln und somit auch gedeutet werden können.

          Albträume kommen meistens in der zweiten Hälfte der Nacht, in den sogenannten REM-Schlafphasen vor. Am häufigsten drehen sich die Bilder im Kopf um Verfolgungen und Fallen, um den eigenen Tod oder den von anderen, um Verletzungen, Monster und böse Personen. Gerade bei Menschen mit Depressionen oder einer posttraumatischen Belastungsstörung zeigt sich, wie stark Traum und tatsächliches Erleben manchmal zusammenhängen können. Wer in seiner Kindheit vergewaltigt wurde, wird oft noch jahrzehntelang davon im Schlaf verfolgt. Selbst dann noch, wenn die Grunderkrankung eigentlich erfolgreich behandelt wurde. Es sei auch unter Therapeuten ein Trugschluss, dass die Träume gemeinsam mit dem Trauma verschwinden, so Pietrowsky. „Oft haben sich die Albträume längst verselbständigt.“

          Per IRT den Verlauf der Träume ändern

          Um von chronischen Albträumen betroffen zu sein, braucht es aber keine so schwerwiegenden Gründe wie eine psychische Erkrankung. Zwei Drittel der Betroffenen seien völlig gesund, sagt Pietrowsky. „Meistens gibt es bei ihnen aber irgendeine akute Belastung, familiären oder beruflichen Stress.“ Daraus dürfe man allerdings nicht den umgekehrten Schluss ziehen, so Pietrowsky, dass jemand mit chronischen Albträumen auch zwangsläufig Probleme im Leben habe. Manchmal sind es auch äußere Auslöser wie belastende Filme oder Gespräche, bestimmte Medikamente oder körperliche Erkrankungen, die diese Horrorbilder im Gehirn hervorrufen.

          Unabhängig von den Gründen kann den Betroffenen eine vergleichsweise einfache Behandlungsmethode helfen, die in Deutschland erst langsam Einzug hält. In der Imagery Rehearsal Therapy (IRT) lernen die Patienten innerhalb kurzer Zeit, den Verlauf ihrer Albträume so zu verändern, dass sie ihnen weniger Angst machen und seltener auftauchen. Für Menschen wie Maja Ebner klingt dieses Versprechen oft zu schön, um wahr zu sein. Doch die IRT hatte von Beginn an große Erfolge, als sie in den neunziger Jahren ursprünglich als Gruppentherapie für traumatisierte Kriegsveteranen in den Vereinigten Staaten entwickelt wurde. In der Bundesrepublik haben Traumforscher Pietrowsky und seine Kollegin Johanna Thünker die IRT als Albtraumtherapie 2010 bekannter gemacht, als sie das erste deutschsprachige Therapiemanual veröffentlichten, eine Anleitung für Behandler.Die symptomorientierte Therapie nach Pietrowsky und Thünker dauert acht Sitzungen; vier davon entfallen auf den Kern der IRT, die Veränderung der Albträume. Woher diese kommen und was sie einem Betroffenen womöglich sagen können, spielt darin keine Rolle. „Zwar kann Traumdeutung in der Therapie durchaus sinnvoll eingesetzt werden“, sagt Pietrowsky. „Aber eher als Ausgangspunkt für wichtige Themen; nicht so platt, dass man etwa von Spinnen-Träumen auf die Angst vor einer dominanten Mutter schließt.“

          Im Rahmen einer Studie haben die Wissenschaftler in Düsseldorf rund 70 Patienten mit der IRT behandelt. „Die Zahl der Albträume hat sich bei ihnen im Schnitt halbiert“, sagt Reinhard Pietrowsky. Diese Erfolge blieben auch über einen längeren Zeitraum stabil. Wie genau die IRT wirkt, wollen Mitarbeiter der Goethe-Universität in Frankfurt am Main derzeit im Rahmen einer großangelegten Untersuchung herausfinden. Darin vergleichen sie die Methode auch mit der sogenannten Konfrontationstherapie, die sich zwar in vielen Studien bewährt hat, aber auch extrem belastend sein kann. Die Patienten müssen sich darin so lange ihren Albträumen und Ängsten aussetzen, bis sie sich an diese gewöhnen.

          Ein neues Drehbuch schreiben

          Maja Ebner, die Studentin mit den Verfolgungsträumen, hat an der Universität Düsseldorf eine IRT gemacht. Wenn sie wieder einmal einen Albtraum hatte, musste sie ihn detailliert aufschreiben. Danach überlegte sie mit ihrer Therapeutin Johanna Thünker, was genau an der Geschichte besonders bedrohlich ist und verschwinden soll - etwa die Dunkelheit, dass der Mann hinter ihr immer schneller wird und in ihr Panik aufkommt. Allerdings kann auch die IRT aus einem Horrorstreifen nicht einfach eine seichte Komödie machen. Viele der alten Inhalte müssen im neuen Traum bleiben, damit die Variante noch genügend mit dem ursprünglichen Albtraum zu tun hat.

          Mit der Psychologin ging Maja Ebner alternative Drehbücher durch: Wie könnte ihr Traum ablaufen, damit er ihr weniger Angst einjagt? Eine Variante sprach Ebner dabei spontan an: Als der Verfolger ihr immer näher kommt, taucht plötzlich eine große dunkle Limousine auf, erfasst den Mann an der Hüfte und wirft ihn zu Boden. Ebner dreht sich herum und sieht ihn hinter sich liegen, ein Bein seltsam angewinkelt. Ihr kann nun nichts mehr passieren. Eigentlich.

          Denn obwohl die Zwanzigjährige diese Version erst einmal als hilfreich empfand, fühlte sie sich noch immer angespannt, wenn sie sich den Traum vorstellte. Was, wenn der Verfolger zwar angefahren wurde, aber wieder aufstehen und weiterrennen könnte? „Viele alternative Fassungen“, sagt Studienleiter Pietrowsky, „klingen nach einem guten Ende, passen dann aber zum Beispiel überhaupt nicht zu der betroffenen Person oder wirken auf sie unrealistisch.“ Daher müssen meistens mehrere Fassungen im wachen Zustand durchgegangen werden, bis sich eine geeignete findet.

          „Kein Patient, bei dem die Therapie nichts geholfen hätte“

          Das endgültige, neue Drehbuch schrieb Johanna Thünker mit ihrer Patientin auf. Maja Ebner entschied sich, einen zweiten Mann in ihren Albtraum einzubauen. Er scheint ein alter Bekannter ihres Verfolgers zu sein und ruft diesem zu, dass er doch mal stehenbleiben solle. Die beiden haben sich lange nicht gesehen. Dadurch, dass der Verfolger nun in eine Unterhaltung verwickelt ist, hat Ebner Zeit, schnell in ihr Auto zu steigen und nach draußen zu fahren. Dort ist es hell, überall sind Menschen und Fahrzeuge unterwegs. Sie fühlt sich wieder sicher.

          Einige Wochen lang stellte sich die Studentin ihr neues Drehbuch jeden Abend vor, ging die Geschichte 15 bis 20 Minuten lang im Kopf durch. Bis der Albtraum einfach nicht mehr kam. Kein Einzelfall. „Ich habe noch keinen Patienten erlebt, bei dem die Therapie nichts geholfen hätte“, sagt Pietrowsky. Die Albträume von traumatisierten Menschen verschwinden zwar meist nicht vollständig. „Aber manchmal ist es ja auch schon eine deutliche Verbesserung, wenn jemand vorher jede Nacht Albträume hatte und nach der Therapie zum Beispiel nur noch 20 im Monat.“

          15 Jahre ist es her, dass Reinhard Pietrowsky im Traum verfolgt und von hinten in die Wirbelsäule geschossen wurde. „Ich habe den Einschuss deutlich gespürt und gedacht, jetzt musst du sterben.“ Der Psychologie-Professor, dessen Interesse an der IRT einst durch diesen Albtraum geweckt wurde, musste die Methode damals allerdings nicht selbst ausprobieren. Ihm ging es wie den meisten Menschen. Sein Albtraum kam einmal und nie wieder.

          *Name geändert

          Wen plagt die Angst in der Nacht?

          Häufigkeit

          Studien aus mehreren Ländern zufolge sind rund 5 Prozent aller Erwachsenen von chronischen Albträumen betroffen. Im Rückblick berichten 70 bis 90 Prozent aller jungen Erwachsenen von Albträumen in ihrer Kindheit. Die meisten haben Mädchen und Jungen zwischen sechs und zehn Jahren; Albträume von Kindern werden im Allgemeinen als normal angesehen. Erwachsene träumen mit zunehmendem Alter immer seltener schlecht. Frauen haben deutlich mehr Albträume als Männer, Studenten mehr als gleichaltrige Nicht-Studierende, Menschen mit künstlerischen Berufen mehr als Angehörige anderer Berufe.

          Diagnose

          Albträume sind in den großen Klassifikationssystemen für psychische Krankheiten, ICD-10 und DSM-IV, enthalten. Angstträume zeichnen sich dadurch aus, dass die Betroffenen (meist) aufwachen und sich detailliert an den Trauminhalt erinnern können. Sie sind danach nicht desorientiert, leiden aber deutlich unter ihren Träumen und den daraus entstehenden Schlafstörungen. Über eine Mindestanzahl an Albträumen in einem Zeitraum sagen die Diagnosesysteme nichts aus. In vielen Untersuchungen wird aber angenommen, dass eine Behandlung angebracht ist, wenn jemand mindestens einen Albtraum pro Woche über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten hat.

          Albtraum-Studie Frankfurt

          In der Verhaltenstherapie-Ambulanz der Goethe-Universität Frankfurt am Main läuft seit 2009 eine großangelegte Studie zur Albtraumbehandlung. Die Therapie, für die nach wie vor Betroffene sich anmelden können, umfasst vier Treffen. Teilnahmevoraussetzungen und Informationen unter Telefon 069/79 825 107 und www.vta.uni-frankfurt.de

          Albtraumcoach im Internet

          Aus einem Kooperationsprojekt der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und der Universität Utrecht in den Niederlanden ist vor drei Jahren der „Albtraumcoach“ entstanden. Grundlage der internetbasierten Selbsthilfe-Behandlung ist das Behandlungsmanual von Thünker/Pietrowsky. www.albtraumcoach.de Bis heute gibt es nur Hypothesen über die Entstehung von Angstträumen. Fünf Prozent der Erwachsenen leiden unter chronischen Albträumen.

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