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Diagnose Borreliose : Zeckenkrieg

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Ursache des Streits der Mediziner: Zecken, die Borreliose übertragen können Bild: dpa

Bei der Diagnose Borreliose bekämpfen sich Mediziner untereinander: Von vorschnellen Befunden, unklaren Tests und Geldmacherei ist die Rede. Das alles geht auf Kosten der Patienten.

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          An das letzte Mal, als er richtig glücklich war, erinnert sich Thomas Schulz noch genau. Es war im Sommer vor zwei Jahren, als er mit seinem Motorrad über die Autobahn düste und die Tachonadel 270 zeigte. Damals habe er sich noch stark und frei gefühlt, sagt der Student heute. Kurze Zeit später erkrankt er schwer. Wie aus dem Nichts kommen Übelkeit, Kopf- und Gelenkschmerzen, Ohrenpfeifen und Herzrasen. Die Beschwerden kehren immer wieder in Schüben zurück. Keiner der Ärzte, die ihn untersuchen, weiß Rat, Schmerzmittel verpuffen in ihrer Wirkung. Acht Monate lang zieht der Einunddreißigjährige von Arzt zu Arzt. Die Symptome bleiben ein Rätsel. „Ich ging durch die Hölle damals und hatte manchmal Todesangst“, sagt Schulz heute.

          Irgendwann landet er in einer Einrichtung für Psychosomatik. Dort stellt man die Diagnose: hypochondrische Störung. Die meisten Beschwerden habe er sich nur eingebildet. Ein niederschmetternder Befund für Schulz. Das will er so nicht akzeptieren. Von der Schulmedizin enttäuscht, geht er auf die Suche nach einer anderen Diagnose und findet sie Anfang 2014 in Augsburg. Die Ärzte des dortigen „Borreliose Centrums“ diagnostizieren ihm statt einer psychischen Störung eine Lyme-Borreliose, eine bakterielle Infektion nach einem Zeckenstich. Schulz ist erleichtert.

          Dabei sind die Methoden der Augsburger Klinik und anderer sogenannter „Borreliose-Ärzte“ äußerst umstritten. Kritiker wie der Münchner Neurologe Tobias Rupprecht werfen ihnen vor, zu oft und ohne eindeutige Beweise eine Lyme-Borreliose zu diagnostizieren. Auch ihre Therapieverfahren bezeichnet Rupprecht als fragwürdig. Üblicherweise werden die Bakterien mit einer maximal zwanzigtägigen Antibiotika-Therapie bekämpft; viele der „Borreliose-Ärzte“, so der Neurologe, behandelten Patienten aber wochen- und monatelang sorglos ohne wissenschaftliche Fundierung mit dem Bakterienkiller. Bekannte Nebenwirkungen wie die Gefahr von Resistenzzüchtungen, Pilzinfektionen oder schweren, manchmal tödlichen Darmerkrankungen würden dabei unter den Tisch gekehrt.

          Heilkräuter sollen helfen

          Von diesen Vorwürfen weiß Thomas Schulz nichts, als er zum ersten Mal im Behandlungszimmer der Augsburger Klinik sitzt. Aus seiner Sicht passen seine Symptome haargenau auf diese Erkrankung, und endlich habe er gewusst, was er hat, sagt Schulz.

          Seitdem spricht er alle paar Wochen mit den Augsburger Ärzten. Eine wochenlange Antibiotika-Therapie lehnte er ab, aus Angst vor den Nebenwirkungen. Stattdessen nimmt Schulz gegen die Borrelien und zur Stärkung seiner Abwehrkräfte Heilkräuter wie Beifuß und Karde. Ob die Phytotherapie, die er aus eigener Tasche zahlt, wirklich hilft, wisse er nicht. Er fühle sich aber bedeutend besser.

          Von Geschichten wie der des Studenten Schulz fühlen sich Patientenverbände und Alternativmediziner bestätigt. Sie werfen Schulmedizinern vor, Lyme-Borreliose schlecht zu erkennen, die Erkrankung zu verharmlosen und Betroffene mit ihren Leiden im Stich zu lassen. Seit Jahren sind die Fronten zwischen den Parteien verhärtet. Zwischen Medizinern tobt ein wahrer „Zeckenkrieg“ (so der Fernsehsender Arte) – zu Lasten der Patienten, die oft mit widersprüchlichen Informationen und ungenügend gesicherten Diagnosen verängstigt werden.

          Geld verdienen mit dem Leid der Patienten

          Das beginnt schon bei der Anzahl der Erkrankten. Für Lyme-Borreliose gibt es keine bundesweite Meldepflicht. Nur Schätzungen. Rund 60 000 bis 200 000 neue Borreliose-Fälle gibt es hierzulande nach Angaben des Robert-Koch-Instituts, des Hüters über die Infektionskrankheiten in Deutschland, pro Jahr. Patientenverbände wie der „Borreliose- und FSME-Bund“ finden diese Zahl viel zu niedrig. Auf ihrer Website sprechen sie von bis zu 650 000 Neuinfektionen im Jahr.

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