Toter Neunjähriger in Italien : Aggressiv gegen sich selbst
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Langer Lockdown: Italien wurde vom Coronavirus hart getroffen. Bild: dpa
In Italien hat sich ein Neunjähriger offenbar das Leben genommen. Das unter Kindern verbreitete Phänomen der Gewaltanwendung gegen sich selbst soll sich während des langen Lockdowns in dem Land verstärkt haben.
Nach dem Tod der zehn Jahre alten Antonella Sicomero in Palermo in der vergangenen Woche wird Italien von einer neuen Tragödie erschüttert. In Bari in Apulien wurde am Montagnachmittag ein neunjähriger Junge erhängt von seiner Mutter in der heimischen Wohnung aufgefunden. Wiederbelebungsversuche der Mutter, die selbst Ärztin ist, sowie der Rettungsdienste blieben erfolglos. Die Staatsanwaltschaft von Bari ordnete eine Autopsie an. Alle Indizien legen eine Selbsttötung nahe. Zugleich eröffneten die Strafverfolger ein Verfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts der Anstiftung zum Suizid.

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Die Ermittler beschlagnahmten alle in der Wohnung aufgefundenen elektronischen Geräte: die Mobiltelefone der Mutter und ihres toten Sohns sowie Computer und Spielekonsolen. Erste Ermittlungen ergaben, dass der Junge offenbar kurz vor seinem Tod ein Video von sich auf Youtube gepostet hatte, in dem er lächelnd darüber berichtete, wie er sich selbst die Haare geschnitten habe.
Anders als im Fall Antonella Sicomero, bei dem die Ermittler einen Zusammenhang der Selbststrangulierung des Mädchens mit einer gefährlichen Mutprobe auf der Kurzvideo-Plattform Tiktok vermuten, hat der Junge aus Bari die zumal bei Kindern und Jugendlichen beliebte App offenbar nicht genutzt. Auf dem Mobiltelefon der Mutter, das der Junge für den Internet-Zugang zu nutzen pflegte und das sich neben dessen leblosem Körper fand, war die Tiktok-App offensichtlich nicht installiert. In Medienberichten aus Bari, die sich auf die Aussagen von Nachbarn und Bekannten der Familie beziehen, wird der verstorbene Junge als „ruhig und freundlich“ beschrieben.
An der Aufklärung des tragischen Vorfalls ist auch der Jugendstaatsanwalt von Bari, Ferruccio De Salvatore, beteiligt. De Salvatore ist der Überzeugung, dass sich das unter Kindern und Jugendlichen verbreitete Phänomen der Selbstverletzung während des langen Lockdowns in Italien verstärkt habe. „Wir kennen das Problem schon lange, aber es wurde durch die Pandemie verschärft“, wird De Salvatore von einer apulischen Lokalzeitung vom Mittwoch zitiert. Angesichts der durch Schulschließungen und Kontaktbeschränkungen verursachten sozialen Isolierung zögen sich viele Kinder und Heranwachsende in sich selbst zurück und entwickelten dabei „Aggressionen gegen sich selbst und gegen andere“, sagt De Salvatore. So habe man bei Kindern und Jugendlichen eine klare Zunahme von selbst zugefügten Schnittwunden durch Rasierklingen an Armen und Beinen festgestellt.
Selbsttötungsversuche kämen immer häufiger auch bei immer jüngeren Kindern vor. Dabei spiele auch der Nachahmungseffekt eine wichtige Rolle, der ebenfalls bei immer jüngeren Nutzern der sozialen Medien festgestellt werde. „Wir müssen uns darüber klar werden, dass der Drang zur Nachahmung in den prägenden Altersphasen der Kinder und Jugendlichen sehr stark ist“, sagt der Jugendstaatsanwalt De Salvatore. In Italien waren Schulen und Bildungseinrichtungen wegen des Kampfes gegen die Ausbreitung des Coronavirus so lange geschlossen wie in keinem anderen Land Europas.
Hilfe bei Suizidgedanken
Wenn Sie daran denken, sich das Leben zu nehmen, versuchen Sie, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Es gibt eine Vielzahl von Hilfsangeboten, bei denen Sie – auch anonym – mit anderen Menschen über Ihre Gedanken sprechen können.
Das geht telefonisch, im Chat, per Mail oder persönlich.
Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern sind 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222.
Der Anruf bei der Telefonseelsorge ist nicht nur kostenfrei, er taucht auch nicht auf der Telefonrechnung auf, ebenso nicht im Einzelverbindungsnachweis.
Ebenfalls von der Telefonseelsorge kommt das Angebot eines Hilfe-Chats. Die Anmeldung erfolgt auf der Webseite der Telefonseelsorge. Den Chatraum kann man auch ohne vereinbarten Termin betreten, mit etwas Glück ist ein Berater frei. In jedem Fall klappt es mit einem gebuchten Termin.
Das dritte Angebot der Telefonseelsorge ist die Möglichkeit der E-Mail-Beratung. Auf der Seite der Telefonseelsorge melden Sie sich an und können Ihre Nachrichten schreiben und Antworten der Berater lesen. So taucht der E-Mail-Verkehr nicht in Ihren normalen Postfächern auf.