Symptome zu spät erkannt : Viel mehr Fälle von Sepsis in Deutschland als bislang bekannt
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Laut einer neuen Studie sind rund 20 Prozent aller Todesfälle auf der ganzen Welt auf eine Sepsis zurückzuführen. Bild: dpa
Eine Sepsis kann jeden treffen – alte und junge, arme und reiche Menschen. Nun wird bekannt: Die Zahl der Fälle in Deutschland ist doppelt so hoch wie in drei anderen Industriestaaten.
Die Zahl der Menschen, die jedes Jahr an einer Sepsis sterben, ist doppelt so hoch wie bislang angenommen. Auch bei den Sepsisfällen insgesamt müssen bisherige Schätzungen korrigiert werden: Jedes Jahr erkranken offenbar doppelt so viele Menschen, wie die bisher zugrunde gelegten Zahlen vermuten lassen. Darauf weist die Sepsis-Stiftung in Jena in einer Mitteilung hin. Sie bezieht sich auf die Ergebnisse einer neuen Studie, die gerade in der Zeitschrift „The Lancet“ veröffentlicht wurde.
Der Präsident der Sepsis-Stiftung, Konrad Reinhart, ist ebenfalls Autor der Studie. In der Untersuchung „Global, regional, and national sepsis incidence and mortality, 1990–2017“ wurden die bislang umfassendsten Daten zur Häufigkeit von Sepsis und Sepsis-Todesfällen ausgewertet. Umgesetzt wurde die Studie vom Institute of Health Metrics and Evaluation in Seattle, das für den jährlichen „Global Burden of Disease Report“ zuständig ist.
Sepsis wird nach Angaben der Stiftung selten als Todesursache angegeben. Doch laut der Studie sind rund 20 Prozent aller Todesfälle auf der ganzen Welt auf eine Sepsis zurückzuführen. Die Wissenschaftler haben dazu Totenscheine und die Informationen zu Alter, Geschlecht, Region und den Ursachen für eine Sepsis zugrundegelegt.
Meisten Fälle in Afrika und Asien
Für das Jahr 2017 ergeben sich demnach auf der ganzen Welt 48,9 Millionen Sepsisfälle. Das entspricht 677 Krankheitsfällen pro 100.000 Erdbewohnern. Für elf Millionen Menschen endete die Erkrankung tödlich. Im Gegensatz dazu gingen die bisherigen Schätzungen von jährlich 19,4 Millionen Sepsisfällen und 5,3 Millionen Todesfällen aufgrund einer Sepsis aus.
Diese Zahlen basierten überwiegend auf Abrechnungsdaten von Erwachsenen, die im Krankenhaus waren. Sie bezogen sich auf sieben Länder mit hohem Einkommen. Nach den Ergebnissen der Studie fanden sich aber die meisten Sepsisfälle in Afrika südlich der Sahara und in Teilen Asiens. Diese Regionen seien am wenigsten dafür ausgestattet, einer Sepsis vorzubeugen, die Krankheit zu erkennen und angemessen zu behandeln.
Doch die Sepsis-Stiftung weist darauf hin, dass auch in Ländern wie Schweden oder den Vereinigten Staaten eine ähnlich hohe Anzahl an Fällen zu verzeichnen sei wie in Ländern mit niedrigem Einkommen. So hätten neuere Studien gezeigt, dass in den Vereinigten Staaten 500 Sepsisfälle auf 100.000 Einwohner kommen, in Schweden sind es 700.
Symptome werden häufig falsch gedeutet
Auch in Deutschland legen Untersuchungen von Krankenakten nahe, dass die Sepsishäufigkeit doppelt so hoch ist als dies bisher auf Grundlage der Fälle vermutet wurde, die von den Krankenhäusern aus Abrechnungsgründen gemeldet wurden. Zudem ist die Sepsissterblichkeit in Deutschland doppelt so hoch wie in den Vereinigten Staaten, in England oder Australien.
Um die Fälle zu reduzieren, fordert die Stiftung daher seit 2013 die Etablierung eines Nationalen Sepsisplans zur besseren Prävention und Behandlung der Krankheit. Angesichts der neuen Zahlen appellierte Konrad Reinhart abermals an das Bundesministerium für Gesundheit, diesen Aktionsplan endlich in die Wege zu leiten. Es sei dringend erforderlich, mit dem Plan einer der zentralen Forderungen der Sepsis-Resolution der Weltgesundheitsbehörde nachzukommen.
Eine Sepsis kann jeden treffen: alte und junge, arme und reiche Menschen, kerngesunde sowie Personen mit Vorerkrankungen. Über kleinste Wunden oder auch bei einer medizinischen Behandlung können Krankheitserreger in den Körper eindringen und dort einen Vernichtungszug antreten. Am Ende steht oft das multiple Organversagen, das zum Tode führt. Die auf eine Sepsis hinweisenden Symptome wie Fieber, Übelkeit oder Verwirrtheit werden von Laien, oft genug aber auch von Ärzten und Pflegern nicht als solche erkannt. So vergehen oft Stunden oder sogar Tage, bis die richtige Behandlung eingeleitet wird. Dann ist es oft zu spät: Denn eine Sepsis ist genauso ein Notfall wie ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall.