Zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben
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Extrem Magersüchtige haben teilweise einen BMI von unter 12. Bild: Your_Photo_Today
Für Menschen mit extremer Magersucht mangelt es an passenden Therapieangeboten. Deshalb bleiben sie oft lange mit ihrer Krankheit allein – manchmal zu lange.
In der schlimmsten Zeit haben die jungen Frauen nur noch so viel gewogen wie Erstklässler. Weil sie damit zu krank für die allermeisten Kliniken waren, hätten Doreen Dörner, Melanie Reit (Name geändert) und Marie Schmidt sterben können. Alle drei leiden seit Jahren an extremer Magersucht. Menschen wie sie benötigen intensive und spezialisierte Hilfe, medizinisch wie therapeutisch, die sie aber oft nicht bekommen. „Wer sich besonders lange gegen eine Behandlung wehrt, riskiert, als Notfall in ein normales Krankenhaus oder auf die Intensivstation zu kommen – womit dann erhebliche Nachteile verbunden sein können“, sagt Wally Wünsch-Leiteritz. Die Internistin und ärztliche Psychotherapeutin hat sich seit 20 Jahren auf die Behandlung extremer Magersucht spezialisiert und ist im Vorstand des Bundesfachverbands Essstörungen. Akut internistische Stationen könnten für den Anfang zwar überlebenswichtig sein: „Dennoch bleibt ein frühzeitiger Wechsel in eine Spezialabteilung wichtig.“
Das Problem dabei: Die meisten psychosomatischen Kliniken verlangen ein Mindestgewicht. Wer das nicht erfüllt, weil er viel zu wenig wiegt – immerhin das Hauptsymptom der Magersucht – erhält im Extremfall keine kompetente Unterstützung. In Deutschland und Österreich gibt es kaum spezielle Einrichtungen, die diese Versorgungslücke schließen. Abgesehen davon, dass auch Akutkliniken oft lange Wartezeiten haben. Doch wenn man in einem sehr kritischen Zustand ist, geht es um Tage oder Wochen. „Da kann man nicht allein aufs Erstgespräch einen Monat warten“, sagt Reit. „In drei Monaten Wartezeit wäre ich längst gestorben“, bestätigt Dörner. Beide hätten erst viele Kilogramm zunehmen müssen, um einen stationären Platz in einer psychiatrischen Klinik zu bekommen, denn diese Kliniken ohne Intensivmedizin können oder wollen die Verantwortung für besonders schwerkranke Magersüchtige oft nicht übernehmen. Diese Kranken haben meist körperliche Begleiterscheinungen, die behandelt werden müssen: Der Herzschlag ist verlangsamt, Körpertemperatur, Blutdruck und Blutzucker können zu niedrig sein, womöglich sammelt sich Wasser im Herzbeutel an.
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