Immer mehr Corona-Tote : Brasiliens Jagd nach einem traurigen Rekord
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Holzkreuze und Friedhofsmitarbeiter in Manaus, Brasilien Bild: dpa
Das Coronavirus wurde von Brasilianern der oberen Einkommensschicht aus Europa ins Land getragen – und verbreitet sich nun rasant in den ärmeren Bevölkerungsschichten.
Die Zahl der bestätigten Corona-Todesfälle in Brasilien hat am Dienstag erstmals die Marke von 1000 innerhalb von 24 Stunden überschritten. Die Dunkelziffer ist allerdings hoch. Angesichts der rund 210 Millionen Einwohner, die das größte Land Lateinamerikas zählt, ist die hohe Zahl der Fälle nicht verwunderlich. Allerdings zeigt die Kurve in Brasilien weiter exponentiell nach oben. Zudem hat sich in den vergangenen Wochen eine Veränderung der Verbreitung des Coronavirus gezeigt: Das Virus, das von Brasilianern der oberen Einkommensschichten aus Europa ins Land eingeschleppt wurde, verbreitet sich nun rasant in den ärmeren Bevölkerungsschichten.
Einen Hinweis auf das Überschwappen der Epidemie von den Reichen- auf die Armenviertel liefern die Statistiken der hospitalisierten Patienten sowie der Todesfälle – und zwar anhand der Hautfarbe. Laut den Daten des Gesundheitsministeriums ist der Anteil der Dunkelhäutigen an der Gesamtzahl der Opfer zwischen dem 10. April und dem 18. Mai von 32,8 Prozent auf 54,8 Prozent gestiegen. Das entspricht fast der Verteilung in der Bevölkerung, in der Dunkelhäutige rund 57 Prozent ausmachen. Fachleute befürchten, dass der Anteil weiter steigt, da sich das Virus in den ärmeren Wohngegenden, wo die überwiegend dunkelhäutige Bevölkerung die Isolationsmaßnahmen nicht optimal einhalten kann, in den kommenden Wochen rascher ausbreiten dürfte.
Die Statistiken zeigen auch, dass die Sterblichkeit der dunkelhäutigen Brasilianer höher ist. Schon Ende März war einer von vier Corona-Patienten in den Krankenhäusern dunkelhäutig, während es bei den Todesfällen einer von drei war. Fachleute erklären die höhere Sterbewahrscheinlichkeit mit der sozialen Herkunft und dem dadurch bedingten schlechteren allgemeinen Gesundheitszustand. Der brasilianische Infektiologe Alexandre Naime mahnt zu Vorsicht mit den Statistiken, sagt jedoch, dass das Risiko einkommensschwacher Personen generell höher sei, weil die Prävention und die Ernährung etwa bei Personen mit Diabetes, Bluthochdruck oder Übergewicht nicht ideal seien. Zudem hätten sie weniger Zugriff auf medizinische Versorgung, was bei schweren Fällen zu einer Verzögerung der Behandlung und damit zu einem höheren Sterberisiko führen könne. Augenfällig werden die sozialen Unterschiede bei den Todesfällen von unter Sechzigjährigen. Eine Erhebung in São Paulo zeigt, dass sie in einigen armen Stadtteilen mehr als die Hälfte aller Todesfälle ausmachen, während in reichen Gegenden nur fünf Prozent der Todesfälle Personen unter 60 betraf. Der Durchschnitt der unter sechzigjährigen Opfer liegt in São Paulo bei 23 Prozent.
Als äußerst gefährdet durch das Coronavirus gelten auch die Urvölker Brasiliens. Sie kämpfen nicht nur mit denselben Problemen der prekären Gesundheitsversorgung wie die arme Bevölkerung, sondern haben ein anfälligeres Immunsystem, was in der Vergangenheit immer wieder zur Dezimierung oder gar zur Auslöschung von indigenen Völkern geführt hat. Bereits im April wurden erste Fälle von Ansteckungen Indigener gemeldet, die in Reservaten leben. Einige waren durch illegale Eindringlinge wie Goldsucher oder Holzfäller in Kontakt mit dem Virus gekommen, andere steckten sich beim Besuch einer weißen Siedlung an. Wie anfällig die Indigenen auf das Coronavirus sind, machte der Tod eines achtmonatigen Kindes in einer Indigenengemeinde im Bundesstaat Mato Grosso deutlich. Das Baby starb am 11. Mai. Am Dienstag lieferte das Gesundheitssekretariat des Bundesstaates den Befund, dass es am Virus erkrankt war.