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TV-Kritik: Maybrit Illner : „Die ganz große Angst vor der Seuche ist raus“

Maybrit Illner inmitten ihrer Gäste: Felix Lee, Jens Spahn, Melanie Brinkmann, und Johannes Wimmer. Bild: ZDF / Claudius Pflug

Der Wettlauf gegen das neue Coronavirus nimmt erst Fahrt auf, aber man muss ja nicht gleich den Teufel an die Wand malen. Nicht im Fernsehen jedenfalls.

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          Routiniert runtergekocht, das muss man bei dem Thema und in der Lage erst einmal schaffen. Im anderen Kanal bedauerte ein paar Minuten vorher noch die „Monitor“-Redaktion den vermeintlichen Hype um das neue Coronavirus, während der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganiation (WHO) wegen ebenjenes Virus kurz davor auf allen Kanälen den „internationalen Gesundheitsnotstand“ ausgerufen und die Weltgemeinschaft zur Solidarität mit den schwächeren Völkern aufgerufen hatte. Eine perfekte Steilvorlage für eine kontroverse Diskussion. Eben deshalb war es mehr als bemerkenswert, wie Maybrit Illner ihr Talk-Konzept wieder einmal völlig abgeklärt umsetzte: Aufklärung vor Zuspitzung, Einordnung vor Panikmache. Mit aller Macht hat sich ihre Talkrunde an diesem Abend gegen den Verschwörungs- und Panikstrom im Netz gestellt – und das war in dieser Einträchtigkeit schon eine wirklich reife Leistung. 

          Joachim Müller-Jung
          Redakteur im Feuilleton, zuständig für das Ressort „Natur und Wissenschaft“.

          Angesetzt war das Thema „der Wettlauf gegen die Krankheit, wie gefährlich ist das Coronavirus?“ Relativ schnell wurde deutlich, was die besonnene Braunschweiger Virologin Melanie Brinkmann früh auf den Punkt brachte: Die Sorgen sind berechtigt, Übertreibungen jedoch vollkommen unangemessen. Das deckte sich nicht nur ganz gut mit der Ansage des WHO-Chefs vom selben Abend, der ausführlich erklärte, dass nämlich der Gesundheitsnotstand nicht wegen der Gefährlichkeit des neuen Virus festzustellen sei, sondern wegen der Sorge um die Überlastung kleinerer Staaten, es stimmte auch gut mit den zentralen Aussagen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in der Runde überein: „Wir haben dazugelernt.“

          Durch Sars gelernt

          Gemeint waren die Lehren aus der Sars-Epidemie von 2002/03, als es Pandemievorbereitungen und Informationsaustausch von Seiten Chinas praktisch überhaupt nicht gab und die WHO, Europa und der Rest der Welt mehr oder weniger hilflos zusahen, wie sich das Sars-Virus zu einer kurzen, aber weltumspannenden tödlichen Seuche auswuchs. Das Ergebnis damals: Mehr als achttausend Infizierte und knapp achthundert Tote. Etwa genau so viele Infizierte, aber weniger Tote – gut 200 – sind nun zu beklagen, knapp vier Wochen nach Beginn der neuen Coronaviren-Epidemie. Diese Gegenüberstellung macht deutlich, wie unterschiedlich die beiden Epidemien sind, so nahe die Erreger genetisch miteinander verwandt sein mögen.

          Und just da lag der Knackpunkt, das unausgesprochene Thema der Illner-Sendung. Wie sollen wir jetzt reden über diese neue Gesundheitskrise: als neue Katastrophe, Hype, Verschwörung? Und worin liegt eigentlich der Kern der Krise? In den von der chinesischen Regierung angeordneten rabiaten Quarantänemaßnahmen mit den daraus folgenden Verlusten an Freiheit, in einer möglichen Kungelei der WHO mit Peking – oder vielleicht doch allein in dem neuen Erreger, der sich in China derzeit schnell ausbreitet, aber in seiner Tödlichkeit weit unterhalb früherer Coronavirusepidemien oder gar von Ebola liegt? Leicht zu beantworten war das auch nach diesem Talkabend bei Illner nicht.

          Panikfunke springt nicht über

          Die Isolationsmaßnahmen jedenfalls, mit denen 56 Millionen Chinesen vorübergehend unter De-facto-Hausarrest gestellt worden sind, wurden wie von taz-Korrespondent Felix Lee praktisch einhellig als „erfolgversprechend“ eingestuft. Und dass die deutschen Pandemievorbereitungen rund laufen, wie Spahn nicht müde wurde zu betonen, konnte von niemandem entkräftet werden. Alles im grünen Bereich also? „Die ganz große Angst ist diesmal raus“, damit machte Lee am ehesten deutlich, warum der Panikfunke, der bisher vor allem in den sozialen Netzwerken aufblitzt, so recht nicht auf das breite Volk überspringen will.

          Einzig der sozialmedientaugliche Mediziner Johannes Wimmer, seiner waghalsigen und manchmal frechen Ansagen wegen mittlerweile ein beliebter Fernsehgast, versuchte mit unangemessenen Zuspitzungen, die heile Welt des Jens Spahn ins Wanken zu bringen. Sein „Das kann ganz schnell kippen“ ließ der Minister allerdings so nicht stehen und fuhr dem China-erfahrenen Arzt Wimmer mächtig in die Parade. Fehlte nur der Vorwurf der Panikmache, aber so unvermittelt wollte der Politiker dann doch keine unnötige Kontroverse vom Zaun brechen. Denn dass Wimmer gerne mal übers Ziel hinausschießt, war schnell durch die relativierenden Erläuterungen der Profi-Virologin Brinkmann zu erkennen.

          Unangenehm waren die von dem Mediziner versuchten Zuspitzungen allemal, so etwa, als er vorrechnete, ein Viertel der chinesischen Coronavirus-Patienten sei schwer erkrankt und müsse auf die Intensivstation verlegt werden – dabei allerdings den wichtigen Hinweis vergaß, dass es sich bei diesen empirischen Befunden um eine kleine Gruppe von schweren klinischen Verläufen handelt, die zwar wissenschaftlich dokumentiert aber bei weitem nicht repräsentativ für den Verlauf der neuen Lungenkrankheit sind. „Man muss keine Panik machen“, der Hinweis der Virologin war an der Stelle dringend nötig.

          Chinas Politik wird noch diskutiert werden

          Die Situation sei nicht rosig, der Satz von Maybritt Illner fasste ganz gut zusammen, wo wir stehen mit der Coronavirus-Krise: mitten drin und doch unsicher darüber, wo sie hinführt. Das gilt ganz besonders auch für die Diskussion um die restriktive Seuchenpolitik Chinas, die noch bevorstehen dürfte. Valerie Haller, die Börsenexpertin des Senders, und Peking-Korrespondent Ulf Röller waren sich jedenfalls einig: Jetzt heißt es erst mal abwarten, was herauskommt.

          Wird am Ende die Seuche mit Hilfe der massiven Quarantänemaßnahmen in China eingedämmt und damit nicht nur die chinesische Wirtschaft, sondern auch die Weltwirtschaft einigermaßen geschont, könnten es viele sehen wie die Virologin: „Wenn die Isolation der Infizierten so gelingt, sind wir einen Schritt weiter.“ Seltsamerweise, so Röller, fühlten sich die eingesperrten Bewohner von Wuhan noch immer beschützt von Staat und Partei. Ihrem Präsidenten trauen sie mehrheitlich offenbar alles zu – die Bewältigung der Viren-Krise genauso wie den Bau eines nagelneuen 1000-Betten-Krankenhauses am Rande von Wuhan innerhalb von zwei Wochen.

          Sollte die Welt diesem China dann am Ende sogar dankbar sein für die rabiaten Maßnahmen, wie das taz-Korrespondent Lee andeutete, weil gnadenloser Kontrollstaat und Staatsdirigismus in der Seuchenfalle funktionieren? Ganz so optimistisch konnte das der Bundesminister bei aller Zuversicht, die er an diesem Abend zu vertreten hatte, natürlich nicht stehen lassen: Der Vertrauensverlust, der durch die neue rigide chinesische Seuchenpolitik drohe, könne durch Transparenz und mehr Information am Ende womöglich nicht aufgewogen werden. So oder so: Alle Augen sind jetzt auf China gerichtet.

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