Intensivpflegerin zu Corona : „Es ist wahnsinnig viel Arbeit“
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„Mir reicht’s“: Angesichts der Lage auf ihrer Covid-Intensivstation ärgert sich Krankenpflegerin Anett Hoerenz von der Charité über Leute ohne Alltagsmaske. Bild: Julia Zimmermann
Im Frühjahr feierte man sie als Helden. Und jetzt? Eine Intensivpflegekraft der Charité bilanziert ihr Corona-Jahr.
Auf jeder Party dasselbe: „Was? Du bist in der Pflege? Warum das denn? Ach Gott, das tut mir leid.“
Anett Hoerenz ist anzusehen, wie sehr sie diese Geringschätzung nervt. Dabei trägt sie Mundschutz.
Nun gibt es keine Partys mehr, sondern Corona, und bisher weiß niemand, was das langfristig für Folgen haben wird. Ob die Pandemie sich auf die Geselligkeit auswirkt. Und ob sich endlich etwas ändert für einen Berufsstand, dessen existentielle Bedeutung der Gesellschaft erst in diesem Jahr so richtig bewusst geworden ist.
Ein Dienstagnachmittag Mitte November. Während die Infektionskurve nach zwei Wochen Teil-Lockdown allmählich abflacht, steigt die Zahl der Covid-Intensivpatienten von Tag zu Tag. Anett Hoerenz läuft über das rote Linoleum im vierten Stock der Charité Campus-Klinik: eine hochgewachsene Frau in Krankenhausblau mit blondem Pferdeschwanz, Tätowierung am Fesselgelenk und Birkenstocks. Die Dreißigjährige öffnet die Tür zu einem Patientenzimmer.
Das frisch bezogene Bett ist durch eine Plastikfolie geschützt. Richtung Fenster stehen zwei Ständer mit Spritzenpumpen, auf der anderen Seite befinden sich das Beatmungsgerät und ein Computer für die Dokumentation. In den roten Müllbeutel am Pflegewagen kommt die kontaminierte Schutzkleidung. Alles ist nigelnagelneu.
„Die Entwicklung ist dramatisch“
Als im Frühjahr die erste Welle der Pandemie anrollte, richtete die Charité in dem Bürogebäude auf ihrem Gelände in Berlin-Mitte zwei Stockwerke für Intensivpatienten her. Die obere der beiden Etagen wurde nie gebraucht. Jetzt, da die zweite Welle die Wucht der ersten übertrifft, holt Anett Hoerenz die Station aus dem „Sommerschlaf“, wie sie es nennt. „Ich habe echt nicht damit gerechnet, dass uns so was noch mal erwartet. Ein paar Covid-Fälle – ja. Aber dass wir einen ganzen Flügel mehr aufmachen als im Frühling...“ Kurze Pause. „Die Entwicklung ist dramatisch“, sagt sie dann.
Kistenweise Laboretiketten hat sie bestellt, Cortisonpräparate, Sedierungsmittel, Kochsalzlösung. Schutzbrillen und FFP2-Masken lagern noch verschlossen im Schrank in ihrem Büro. In zwei Tagen sollen die ersten Patienten auf der Station behandelt werden.
Nun sind Beatmungsgeräte und Schutzkleidung anders als im Frühjahr nicht das Problem. Die Herausforderung bleibt das Personal. Die chirurgische Intensivstation zum Beispiel, auf der Hoerenz eigentlich arbeitet, leiht vier Fachkräfte aus. Andere Intensivpfleger kommen aus der Anästhesie. Eine gynäkologische Abteilung ist komplett geschlossen worden, damit das Team auf der neuen Covid-Station unterstützen kann, auch ohne Erfahrungen auf Intensiv. Außerdem haben sich wie schon im Frühjahr Medizinstudenten als Helfer gemeldet.
Hoerenz muss jetzt einen Dienstplan austüfteln, der die unterschiedlichen Kompetenzen, aber auch das Infektionsrisiko berücksichtigt. Manchmal schläft sie schlecht. Hat sie wirklich an alles gedacht?
Im Frühjahr, als Pflegekräfte an vorderster Front gegen das neuartige Virus kämpften und dafür samstagabends als Helden mit Applaus von den Balkonen geehrt wurden, fragte Hoerenz sich: „Habt ihr Mitleid mit uns? Oder ist das wirklich Anerkennung?“
Jetzt, da der Strom an kleinen Geschenken verebbt ist und niemand mehr Lebensmittel, Cremes, Wimperntusche und Getränke spendet, fürchtet sie schon: „Wenn es keine Pandemie mehr gibt, denkt keiner mehr an uns.“
„Sie sind die geborene Intensivkrankenschwester“
Eigentlich wollte die Abiturientin aus Stralsund Ärztin werden. Weil das mit einem Notenschnitt von 2,3 aussichtslos schien, lernte sie einen Beruf, den man früher „Krankenschwester“ nannte und heute „Pflegefachkraft“. Hoerenz machte ihren Abschluss seinerzeit als „Gesundheits- und Krankenpflegerin“. Den praktischen Teil ihrer Prüfung absolvierte sie auf einer Intensivstation. Als sie sich anschließend in Greifswald für ein Medizinstudium bewarb, saß sie drei Professoren gegenüber, die sich ausführlich von ihrer Arbeit erzählen ließen. Daraufhin hieß es: „Wissen Sie was? Sie sind eigentlich die geborene Intensivkrankenschwester. Bleiben Sie mal, wo Sie sind.“