Auf Intensiv
von RÜDIGER SOLDT, Fotos FABIAN FIECHTER30. Juli 2020 · Der Pfleger Fabian Fiechter ist im Zweitberuf Fotojournalist. Hier dokumentiert er seine Arbeit auf einer Covid-19-Station.
Allmählich verblassen die Bilder aus Bergamo. Die Fotos von Patienten, die auf den Fluren intubiert auf ein Zimmer warten, von Armeelastern, die Särge transportieren. In Baden-Württemberg gab es seit einer Woche keinen Todesfall wegen Covid-19 mehr. In den Operationssälen wird größtenteils wieder nach Standardprogramm gearbeitet – Leistenbrüche, Hüftgelenke, Transplantationen. Doch der 39 Jahre alte Intensivpfleger Fabian Fiechter aus Lörrach will nicht, dass die Menschen in Deutschland, in der Schweiz und Frankreich jetzt, da die Urlaubssaison beginnt, vergessen und verdrängen, welche Bedrohung das Coronavirus weiterhin ist.
Seit zehn Jahren ist Fiechter im Zweitberuf Fotograf, als Fotojournalist arbeitet er auch für die F.A.Z. Als Anfang März die Pandemie das Elsass und die Schweiz erreichte, wurde Fiechter im Baseler Kantonsspital dringend als Vollzeitkraft zur Pflege der Covid-19-Patienten gebraucht. Der Pfleger erkannte schnell, dass er Dokumentarist einer Ausnahmesituation sein könnte: Er begann damit, die Behandlung der schwerkranken Covid-19-Patienten zu dokumentieren, meistens vor oder nach der eigenen Schicht.
Fabian Fiechters Porträts und Reportagefotos sind ehrlich, aber nie aufdringlich. Die Intensivmedizin reduziert er in seinen Bildern nicht auf einen Gerätepark aus Infusionspumpen und Beatmungsgeräten. Patienten und Pfleger bleiben Menschen – auch in der Krise. Fiechter gelingt es, die Wärme und Zuversicht zu zeigen, die sein Team selbst unter dieser hohen Belastung aufbringt.
„Schon die Grenzschließung war ein herber Schnitt“, erzählt der Fotograf. „Ich fahre häufig mit dem Rennrad mehrmals täglich über die Grenze. Die Region lebt ja von den offenen Grenzen. Plötzlich passierte es mir, dass ich nachts von Grenzbeamten mit der Taschenlampe angeleuchtet wurde.“ Es sei seltsam gewesen, durch die leere Basler Innenstadt zu fahren und dann in die Isolierzimmer zu kommen. „Die Erkranktenzahlen im Tessin stiegen schnell, aber wir wussten nicht, was auf uns zukommt.“
In Fiechters Pflegeteam arbeiten Franzosen, Deutsche und Schweizer. Die unterschiedliche Entwicklung der Pandemie im Dreiländereck war immer ein Thema. „Ich habe in den 20 Jahren, die ich als Intensivpfleger arbeite, noch nie erlebt, dass 20 von rund 40 Betten in der Intensivstation ausschließlich mit Patienten belegt waren, die eine schwere virale Lungenentzündung hatten. Ich möchte mir lieber nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn die Basler Fasnacht nicht abgesagt worden wäre. Wir haben mit einem vollen Shutdown ja die halbe Station voll gehabt.“ Viele schwererkrankte Patienten seien Mitte 40 oder Mitte 60 gewesen, die Vorerkrankungen häufig nur altersentsprechend und marginal.
Der Fotograf ist überzeugt, dass ein weiterer exponentieller Anstieg der Zahl schwerkranker Patienten auch im Kantonsspital ein Problem geworden wäre. Nur wenn man die Ressourcen einer Klinik gut verwalte, sei die Behandlungsqualität gut. Zur besseren Pflege der Schwerkranken wurde auf seiner Intensivstation ein „Bauchlagerungsteam“ gebildet. Ein Arzt, OP-Lagerungspfleger, Physiotherapeuten, Kinästhethik-Spezialisten kümmerten sich um die regelmäßige Umlagerung der Patienten. „Diese Arbeitsteilung hat extrem geholfen. Es ist gut, wenn man weiß, das ist organisiert, der Patient wird um 8.30 Uhr auf den Bauch gelagert.“ Die Krankheitsverläufe seien sehr unterschiedlich gewesen, es habe Patienten gegeben, die nach zwei Tagen von der Beatmungsmaschine befreit und extubiert wurden. Andere hätten mehrere Wochen und noch länger beatmet werden müssen.
Ein Erlebnis berührte Fiechter besonders: Ein 60 Jahre alter Mann hat nach 85Tagen am Beatmungsgerät beschlossen, seine langjährige Lebensgefährtin zu heiraten. „Es war kurz vor der Verlegung in eine Reha-Klinik. Es ging ihm besser, wir ließen einige Angehörige auf die Station zur Trauzeremonie. Ganz leise konnte ich das Jawort hören.“ Nach der Hochzeit wurde der Mann dann – immer noch abhängig von der künstlichen Beatmung – in eine Reha-Klinik verlegt.
Fiechter dokumentierte die Krisenmonate auf seiner Intensivstation auch deshalb, weil er der Meinung ist, dass es vom Ebola-Ausbruch in Afrika mehr authentische Fotos gibt als von der Sars-CoV-2-Pandemie. „Man braucht emotionale, authentische Bilder, damit die Bevölkerung sieht, wie real Covid-19 ist, dass wir alle davon betroffen sind, dass wir aber helfen können“, sagt Fiechter. „Leider haben die Leute beim Thema Krankenpflege immer noch die Schwester Christa und die Schwarzwaldklinik im Kopf.“ Wenn er von Nachbarn oder Freunden in Lörrach hört, die Pandemie-Politik sei übertrieben, dann findet Fiechter das respektlos gegenüber den betroffenen Familien. „Wir müssen sehr demütig sein, dass es nicht schlimmer gekommen ist.“
Quelle: F.A.Z.
Veröffentlicht: 30.07.2020 14:55 Uhr
