Big Data : Israelische Forscher wollen Corona-Ausbrüchen zuvorkommen
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An der Klagemauer in Jerusalem versuchen Gläubige, zueinander Abstand zu halten und sich zu schützen. Bild: AFP
Mittels Online-Umfragen und Big Data versuchen Wissenschaftler des Weizmann-Instituts, Ausbruchsherde frühzeitig zu erkennen. Mehr als zehn Staaten haben Interesse an der Methode bekundet.
Seit längerem wird am israelischen Weizmann-Forschungsinstitut zu Big Data in der Medizin gearbeitet. Nun hat ein Team des Computerbiologen Eran Segal ein Programm entwickelt, das die Ausbreitung von Corona-Infektionen rasch erkennen kann. Segal erforscht Ballungsgebiete und Ausbreitungsmuster des Coronavirus mittels künstlicher Intelligenz und hat in Zusammenarbeit mit der Hebräischen Universität Jerusalem ein Frühwarnsystem für Epidemologen und Gesundheitsbehörden geschaffen, die auf medizinische Massentests bislang nicht zurückgreifen können. Vor einer Woche begannen die Forscher in Israel mit einer Online-Umfrage in fünf Sprachen (http://predict-corona.org), in der möglichst jeder Anwohner binnen einer Minute Fragen nach Körpertemperatur, Alter, Geschlecht, Wohnort, insgesamt sieben Symptomen, nach Vorerkrankungen und Rauchergewohnheiten beantworten soll – täglich. Diese Daten werden anonymisiert gespeichert, ausgewertet und an die Gesundheitsbehörden übergeben.

Politischer Korrespondent für Israel, die Palästinensergebiete und Jordanien mit Sitz in Tel Aviv.
Bislang nehmen daran täglich bereits mehr als hunderttausend Israelis teil, sagte Segal der F.A.Z. „In Vierteln, in denen uns die Bevölkerung mehr Symptome meldet, haben sich meist auch Infizierte aufgehalten.“ Da sich Covid-19-Infektionen geballt verbreiten, sei es unabdingbar, diese Infektions-Cluster schnell zu identifizieren und Ausbreitungsgebiete lokalisieren zu können, bevor es zu einem größeren Ausbruch komme oder man nur noch aufwendig mit Labortests hinterherkomme. So könnten Behörden in diesen Vierteln rasch Maßnahmen anwenden, etwa die Bewegungsfreiheit einschränken. In anderen, weniger betroffenen Gegenden, können die Maßnahmen dagegen gelockert werden. Aus mehr als zehn Staaten haben Segal und das Weizmann-Institut bereits Anfragen nach der Auswertungsmethode erhalten, zuletzt auch von der Universität Heidelberg.
Noch kein Zugang zu den Ultraorthodoxen
Labortests können durch seine Methode nicht ersetzt werden, so Segal, allerdings sei es auch nicht möglich, eine ganze Bevölkerung zu testen. Bislang schafft Israel rund fünftausend Tests am Tag bei einer Bevölkerung von neun Millionen. Mehr als 1200 Infektionen und ein Todesfall sind bislang bekannt, allerdings steigen die Zuwachsraten rasch. Eine besondere Herausforderung bilden in diesem Land die ultraorthodoxen Gemeinden, die sich den behördlichen Anweisungen nach sozialer Distanz öfter widersetzen und auch das Internet kaum nutzen. So können die Forscher des Weizmann-Instituts die ultraorthodoxen Wohngebiete bislang kaum erfassen, obgleich gerade dort dicht an dicht gewohnt wird und ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht. Segal will Ultraorthodoxe nun telefonisch über Call-Center erreichen, die angesichts der Wirtschaftskrise ohnehin kaum ausgelastet sind.
Während am Weizmann-Institut in Rehovot nicht an der Erforschung des Virus selbst gearbeitet wird, geht es Segal vor allem darum, sofort zu handeln. „Wir müssen schnell sein und zusammenarbeiten.“ So hofft er auf eine Vernetzung der Datenbanken. „Wir wollen alle unsere Erkenntnisse mit möglichst vielen Ländern teilen“, sagt Segal, der auch Internetkonzerne wie Facebook und Google aufruft, regionale Gesundheitsdaten anonymisiert zu erheben und rasch zu teilen. Am Sonntag legte auch das israelische Gesundheitsministerium eine App auf, welche das Bewegungsprofil speichert und den Nutzer davor warnt, wenn sich dessen Wege in den vergangenen 14 Tagen mit jenen bekannter Corona-Infizierter gekreuzt haben.