Am Mailänder Bahnhof fiel ein Zug nach Lyon aus – andere fuhren planmäßig. Bild: dpa
Wegen des Coronavirus hat Italien über Nacht die Bewegungsfreiheit von einem Viertel der Bevölkerung eingeschränkt – zumindest theoretisch. Bislang hat das Dekret vor allem zu Unsicherheit geführt. Ein Besuch in Mantua.
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Brennerautobahn A22, Kilometer 281, Richtungsfahrbahn nach Norden. Hier müsste jetzt eigentlich Schluss sein, es ist die Grenzlinie von der Region Emilia-Romagna zur Region Lombardei. Die Letztere ist laut Regierungsdekret von Sonntagnacht um 2.06 Uhr jetzt Sperrgebiet. Und zwar komplett, mit allen zwölf Provinzen, einschließlich der Hauptstadt Mailand, und allen insgesamt gut zehn Millionen Einwohnern der wirtschaftsstarken Region.
„Jede Ortsveränderung, das Betreten und das Verlassen sowie jede Bewegung innerhalb des betreffenden Gebiets sind unter allen Umständen zu vermeiden. Ausgenommen sind Ortsbewegungen, die aus beruflichen Gründen und wegen Notfällen unabdingbar sind.“ So steht es in dem Dekret, unterzeichnet in tiefster Nacht von Ministerpräsident Giuseppe Conte. Außer für die gesamte Region Lombardei gelten die Bestimmungen für weitere 14 Provinzen in den norditalienischen Regionen Emilia-Romagna, Piemont und Venetien sowie in der mittelitalienischen Region Marken. Auch Venedig ist von dem Dekret betroffen.
Womit der seit dem Hochwasser vom November und noch mehr wegen der Virusepidemie seit Februar schwer leidenden Tourismus in der Lagunenstadt der Rest gegeben wird. Nimmt man die Lombardei und diese 14 Provinzen zusammen, dann gelten seit Sonntag bis zunächst zum 3. April für rund 16 Millionen Menschen strenge Einschränkungen der Bewegungsfreiheit. Das ist ein gutes Viertel der rund 60 Millionen Einwohner Italiens.
Soll jeder vierte Italiener zuhause warten?
Welche Folgen diese beispiellose Maßnahme für das Land haben wird, weiß niemand. Soll jeder vierte Italiener für vier Wochen zuhause sitzen und warten, bis das vermaledeite Coronavirus „besiegt“ ist, wie es in der zunehmend martialischen Sprache bei in Krisensitzungen beratenden Politiker und Fachleute in Rom heißt? Oder wird man den im Dekret verwendeten Begriff „unabdingbar“ für ausnahmsweise zulässige Ortsveränderungen und trotz allgemeinen Verbots eben doch gewährter Bewegungsfreiheit weit fassen?
Wie offen das „Sperrgebiet“ noch am Sonntag war, konnte man nicht erst auf der Brennerautobahn A22 an der Grenze von der Emilia-Romagna zur „isolierten“ Lombardei erleben: Weder auf der Autobahn selbst noch an der Zahlstelle bei der Abfahrt Mantua Nord oder sonst auf einer Straße gab es eine Kontrolle oder gar eine Sperre. Freie Fahrt – abgesehen von der allgemeinen Geschwindigkeitsbegrenzung von 130 Stundenkilometern – hatte es auch schon weiter südlich auf der Autobahn von Rom und Bologna Richtung Norden gegeben.
Dort führen die A22 und auch die große Nord-Süd-Magistrale A1 durch die Provinzen Modena und Reggio Emilia in der Region Emilia-Romagna, die ebenfalls seit der Nacht zum Sonntag Sperrgebiet sind. Auch dort gab es am Sonntagmorgen keine Sperren oder Kontrollen, weder auf der Autobahn noch sonst irgendwo. Ungeachtet irreführender Titelzeilen in vielen Zeitungen sind die Sperrgebiete eben keine neuen „roten Zonen“.