Quarantäne in Norditalien : „Wir sehen das Ende nicht“
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Ein Ort, den Ericas Familie länger nicht gesehen hat: Platz in der Innenstadt von Brescia Bild: EPA
Seit zwei Wochen ist Ericas Familie in Brescia, einer Stadt in Norditalien, in Quarantäne. Jeder lebt in seinem Zimmer. Und niemand weiß, wie lange es noch so weiter geht. Ein Protokoll.
Die Tochter: Jeden Tag um 18 Uhr kommt im italienischen Fernsehen ein Tagesbericht, wie im Krieg. Er wird auf allen Kanälen ausgestrahlt. Ich wohne in Brescia, einer Stadt in Norditalien, die mit am stärksten vom Coronavirus betroffen ist. Seit dem 11. März bin ich mit meiner Familie in Quarantäne, weil meine Mutter sich mit Covid-19 angesteckt hat.
Die Mutter: Ich habe das Virus bekommen, weil ich einen Patienten versorgt habe, der infiziert war. Das war nicht bekannt. Der Patient wurde von einem Arzt der Station besucht, auf der die Infizierten behandelt werden. Dieser Arzt wurde später positiv getestet. Momentan müssen die Krankenhäuser unglaublich viele infizierte Menschen versorgen, meine Kolleginnen haben verrückt lange Schichten. Zum Glück ist die Krankheit bei mir nicht schlimmer als eine Erkältung und ich kann sie zu Hause auskurieren.
Die Tochter: Meine Familie lebt zwar im gleichen Haus, aber wir sind momentan alle voneinander isoliert, in getrennten Zimmern. Mein Vater schläft nicht im gleichen Zimmer wie meine Mutter. Wenn sie das Zimmer verlässt, trägt sie eine Maske und Handschuhe. Wenn ich im Haus herumlaufe, habe ich in der rechten Hand immer einen Schwamm und Bleichmittel, weil jede Türklinke und jede Oberfläche im Haus immer gesäubert wird, damit mein Bruder, mein Vater und ich uns nicht anstecken. Am meisten Sorgen mache ich mir um meinen Vater, der schon ein paar Jahre älter ist.
Jeden Morgen wache ich um genau sieben Uhr auf und mache dann Gymnastik in meinem Zimmer. Von halb neun bis halb sechs arbeite ich, zum Glück geht das als Architektin von zu Hause. Um 13 Uhr mache ich eine Mittagspause und esse um 21 Uhr zu Abend. Die Küche benutzen wir immer separat, wir alle essen zu verschiedenen Zeiten. Meiner Mutter stellen wir das Essen vor die Zimmertür. Das Badezimmer teilen mein Vater, mein Bruder und ich, meine Mutter hat ein eigenes Bad.
Die Menschen haben das Virus nicht ernst genommen
In Italien gibt es immer strengere Beschränkungen. Niemand kann auch nur das Haus verlassen. Nur eine Person pro Haushalt darf Einkaufen. Bei uns ist das wegen der Quarantäne anders, keiner darf raus. Deswegen bringt ein Freund uns essen und stellt es vor die Tür. Nicht immer wurden die Regeln so ernst genommen, deswegen gibt es mittlerweile Geldstrafen von bis zu 5000 Euro. Als Ende Februar Schulen, Sporthallen und nach einiger Zeit Bars geschlossen haben, war die Bevölkerung besorgt. Auch Modenschauen und Konzerte wurden abgesagt. In der zweiten Woche waren die Leute es aber schon wieder leid, von dem Virus zu hören, die Situation entspannte sich.
Aber in den Krankenhäusern war die schreckliche Situation nicht mehr zu verheimlichen. Ich glaube, die Regierung wollte den Menschen nur die Spitze des Eisbergs zeigen, denn darunter lag ein komplettes Gesundheitssystem, das anfing zu kollabieren. Viele Menschen wurden krank. In der dritten Woche, um den achten März herum, hat mir ein Freund, der im Krankenhaus von Brescia arbeitet, schon erzählt, dass sie angefangen haben zu entscheiden, wen sie vom Atemgerät nehmen, um jemanden anderen dranzuhängen. Die anderen haben sie unter Morphium sterben lassen. Man könnte sagen, früher wurde eine Person mit 100 Jahren intensivmedizinisch versorgt, jetzt müssen sie entscheiden und Menschen, die 75 Jahre alt sind, sterben lassen. Das ist schrecklich!
Die Situation in den Krankenhäusern ist schrecklich
Ich bin wirklich eine starke Person, aber selbst für mich ist die Situation sehr deprimierend. Und nur zu telefonieren oder Menschen durch den Bildschirm zu sehen, ist nicht das Gleiche, auch wenn ich das von meiner Fernbeziehung teilweise gewohnt bin. Aber an diese Situation kann man sich niemals gewöhnen! Da viele meiner Freundinnen Krankenschwestern sind, bekomme ich außerdem Infos von ihnen. Die Situation in den Krankenhäusern ist schrecklich. Auf allen Stationen wird Covid-19 behandelt. Jedes Zelt und jeder Schuppen wird genutzt, um die weniger schwer Kranken einzudämmen. Die Menschen, die sterben, sterben alleine und ohne Beerdigung. Die Friedhöfe sind voll und niemand weiß, wohin mit den ganzen Leichen, vor den Krematorien gibt es absurd lange Schlangen.
Zu arbeiten, zu lesen und Sport zu machen, ist gerade meine einzige Erlösung. Eigentlich schwimme ich, was ich sehr vermisse. Momentan gehe ich jeden Tag hundert Mal die Treppen hoch und runter, um mich glücklich zu fühlen. Die ersten Tage in der Quarantäne waren erträglich, je länger es dauert, desto schlimmer wird es, auch weil wir immer strengeren Beschränkungen unterliegen und die Quarantäne verlängert wurde. Wir sehen das Ende nicht! Ich weiß nicht, wann es endlich vorbei ist, aber selbst dann kann nur einer von uns zum Einkaufen raus. Das einzig Gute an der Sache ist, dass ich, wenn ich endlich hier raus komme, das Leben bestimmt eher genießen kann. Dann kann ich auch endlich meinen Freund wiedersehen, der in Berlin lebt.
Die Eindrücke wurden schriftlich übermittelt und übersetzt.