Auslandsstudium in der Heimat : Was bleibt, ist der Haferbrei
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Hessen statt Dublin: eine Studentin beim Heimstudium Bild: privat
Der Weg in den Hörsaal war noch nie so kurz: Das Coronavirus hat aus dem Auslandsstudium in Dublin ein Fernstudium in einer hessischen Kleinstadt gemacht.
Es ist Montagmorgen, 8 Uhr, der Wecker klingelt. Schnell in bequeme Leggings geschlüpft, dann etwas Yoga auf der Sportmatte. 20 Minuten entspannen, Zeit für sich haben. Mit einer Tasse Kaffee in der Hand und einer Wolldecke um die Schultern lässt sich danach noch ein wenig die Sonne auf dem Balkon genießen. Von dort aus sieht man von Bäumen umgeben die Nachbarhäuser. Seit zwei Wochen jedoch nicht mehr die eines Vororts von Dublin, sondern einer Kleinstadt in Hessen. Denn das Auslandsstudium in Irland ist kein Auslandsstudium mehr. Wegen der Corona-Krise wurde das Leben auf der Insel nach sieben Monaten für unbestimmte Zeit unterbrochen. Zu groß war der Wunsch, in ungewissen Zeiten wie diesen in der Heimat und bei der Familie zu sein.
Nach einer Schüssel Porridge zum Frühstück ist es um kurz vor 11 Uhr Zeit, sich auf den Weg zum ersten Unikurs zu machen. Fotojournalismus steht an diesem Morgen auf dem Lehrplan. Im Zimmer nebenan steht der Laptop schon auf dem Schreibtisch bereit. Statt sich auf das Fahrrad zu schwingen, um 30 Minuten zum Griffith College in Dublins Süden zu radeln, sitzt man nun in Deutschland. In der Küche stehend, trennen einen von der Vorlesung nur 20 Meter. Der Weg zum Hörsaal war noch nie so kurz.
Studium sichergestellt
Rund vier Wochen ist es her, dass Irland Schulen und Universitäten wegen der Corona-Gefahr geschlossen hat. Der Wechsel zu Online-Kursen, die über ein Programm für Videokonferenzen gehalten werden, ist den Dozenten unmittelbar gelungen. Während sich Hunderttausende Menschen weltweit mit dem Virus infizieren, Länder ihre Grenzen schließen, Ausgangssperren verhängt werden, soll das Masterstudium ohne Einschränkungen weitergehen und planmäßig beendet werden – online. Klingt in der Theorie sinnvoll. Gerade Journalismus-Studenten sollten auch in Krisenzeiten arbeiten können.
In der Praxis jedoch kommen Gefühle, vor allem Ängste in die Quere. Innerhalb kürzester Zeit wird alles Hab und Gut gepackt, für unbestimmte Zeit der Weg nach Hause angetreten. Dabei hatte man sich doch gerade so gut eingelebt. Hinzu kommen anstehende Projekte, die nun umgeplant werden müssen. Foto- und Videodokumentationen scheinen plötzlich unmöglich zu sein, Interviewpartner sind zurzeit schwer zu erreichen. Doch Digitalisierung und etwas Kreativität sorgen dafür, dass es weitergeht. Auch wenn bei Vorlesungen die Sprache durch die Übertragung manchmal stockt oder der Hund des Dozenten im Hintergrund für Ablenkung sorgt, ist die Lehre von Investigativ- und Online-Journalismus für das letzte Semester sichergestellt.
Kein echtes Auslandsstudium mehr
Punkt 11 Uhr, die Videokonferenz beginnt. Nach und nach klinken sich die Kommilitonen ein. Der eine sitzt in Irland, die andere in Indien, die Dritte ist aus Italien zugeschaltet. Statt einer Umarmung im Klassenzimmer und einem kurzen Plausch über das vergangene Wochenende hört man nur ein vereinzeltes „Hi“ oder sieht ein freundliches Winken, falls der Zugriff auf die Webcam erlaubt wurde. Es tut gut, die Gesichter der Mitstudenten zu sehen, von denen manche in den vergangenen sieben Monaten zu Freunden geworden sind.
Das Masterstudium geht weiter, die Universität garantiert den Abschluss im September, egal wo man sich in der Welt befindet. Doch ein echtes Auslandsstudium ist es nun nicht mehr. Es ist nicht dasselbe, ob man dem Dozenten gemeinsam mit anderen Studenten aus der ganzen Welt im Klassenraum in Dublin zuhört oder allein an seinem Schreibtisch in Deutschland sitzt. Statt sich am Abend auf ein Pint Guinness im Pub zu verabreden oder für das Wochenende einen Ausflug an die Küste zu planen, heißt es nun zum Abschied nur: „Tschüss, wir sehen uns morgen“ – vom Schreibtisch aus, durch die Webcam.
Nach den Kursen geht es für einen Spaziergang an die frische Luft. Autos fahren auf der rechten Straßenseite, die Sonne scheint, es ist windstill. Statt Möwengeschrei ist Amselgezwitscher zu hören. Das einzig Irische, das bleibt, ist der Haferbrei zum Frühstück.