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Italiens Corona-Epidemie : Die München-Theorie um „Patient null“

Eine Notfalleinrichtung für Coronavirus-Fälle in Brescia. Bild: AP

In Italien empfinden viele die deutsche Grenzschließung als nationalen Alleingang. Ein Arzt ist überzeugt zu wissen, dass das Coronavirus aus Deutschland kam.

          2 Min.

          Professor Massimo Galli, Chef der Abteilung für Infektionskrankheiten in der Klinik „Luigi Sacco“ in Mailand, ist überzeugt davon, dass Italiens „Patient null“, der das Coronavirus in den Norden des Landes eingeschleppt hat, aus Deutschland gekommen sei. Konkret: Es müsse ein Mitarbeiter des Autozulieferers Webasto aus Stockdorf bei München gewesen sein. Dort war am 28. Januar ein Manager positiv auf das Virus getestet worden, nachdem er am 20. und 21. Januar am Firmensitz mit einer Webasto-Mitarbeiterin aus Wuhan Kontakt gehabt hatte.

          Matthias Rüb
          Politischer Korrespondent für Italien, den Vatikan, Albanien und Malta mit Sitz in Rom.

          Webasto hat auch in Italien zwei Niederlassungen, eine in Turin im Piemont und eine in Bologna in der Emilia-Romagna, mit zusammen rund 550 Mitarbeitern. Beide Regionen grenzen an die Lombardei, die besonders schwer von der Coronavirus-Epidemie getroffen ist: Rund die Hälfte aller landesweit registrierten Infektionen und sogar zwei Drittel der Todesfälle wurden in der norditalienischen Region mit der Hauptstadt Mailand verzeichnet. Dort sowie in Bergamo und Brescia sind inzwischen gut achtzig Prozent der in den Kliniken zur Verfügung stehenden Betten zur intensivmedizinischen Betreuung von Coronavirus-Patienten belegt. Und jeden Tag kommen neue hinzu, die intensivmedizinisch betreut und künstlich beatmet werden müssen. Insgesamt verfügt die Lombardei über 1200 Klinikbetten für Intensivpatienten, 924 davon waren am Montag von Coronavirus-Patienten belegt.

          Rechnet Deutschland die Zahl eigener Todesfälle klein?

          Untersuchungen der Gensequenzen der in München und später in Codogno nahe Mailand isolierten Viren hätten eine große Verwandtschaft der Erregerstämme ergeben, sagt Galli. Auch andere Virologen seien zu demselben Schluss gekommen, etwa die Forschungsgruppe am Fred Hutchinson Cancer Research Centre in Seattle. Galli ist überzeugt, dass das „chinesisch-deutsche“ Virus aus München schon um den 21. Januar nach Norditalien eingeschleppt wurde. Dort habe es sich vier Wochen lang unerkannt verbreiten können, bevor in der Klinik von Codogno am 20. Februar schließlich Italiens „Patient eins“ positiv auf das Virus getestet wurde: ein 38 Jahre alter Mann, der nach wochenlangem Überlebenskampf inzwischen wieder bei Bewusstsein und auf dem Weg der Besserung ist. Bei Webasto weiß man nichts von Reisen von Mitarbeitern aus dem Stammhaus bei München nach Italien im betreffenden Zeitraum.

          Ob sich die München-Theorie vom „Patienten null“ aus Deutschland erhärten lässt, steht dahin. Jedenfalls hat sie in Italien ein Narrativ verstärkt, wonach das Übel aus China über den Umweg Deutschland nach Italien gekommen sei. Hinzu kommt die immer wieder von Kommentatoren, Wissenschaftlern und auch Politikern geäußerte Verwunderung darüber, dass zwar in Deutschland ebenso wie in Spanien und Frankreich die Zahl der mit dem Coronavirus Infizierten zuletzt in die Höhe geschnellt sei, dass dort aber angeblich viel weniger Menschen an der durch das Virus verursachten Lungenkrankheit stürben als anderswo. So meldete Spanien bis Sonntag fast 300 Todesfälle bei knapp 9000 Erkrankungen, Frankreich rund 130 Tote bei 5400 Infizierten – aber Deutschland nur 16 Tote bei rund 6500 registrierten Erkrankungen. Während die Deutschen die Zahl der Todesfälle „kleinrechneten“, protzten sie mit den 550 Milliarden, die sie zur Stützung der eigenen Volkswirtschaft vorhalten könnten, heißt es in Italien.

          Unmut über die Deutschen, Lob für die Chinesen

          Den tiefsten Schock verursachte aber der Entschluss Berlins, verstärkte Kontrollen an den Grenzen zu Österreich, Frankreich und der Schweiz vorzunehmen. Der Leitartikel der linksliberalen, europafreundlichen Tageszeitung „La Repubblica“ vom Montag trägt den Titel „Es war einmal ein Europa“. Darin heißt es unter anderem: „Den Entschluss, die Schengen-Grenzen zu schließen, hat Berlin im Alleingang gefasst, nach Maßgabe einer nationalen Logik. Er wurde nicht mit den Partnern besprochen, er wurde nicht auf die Außengrenzen des Schengen-Raumes begrenzt. Stattdessen zog man es vor, den eigenen Grenzzaun Stück für Stück hochzuziehen, um die unruhig gewordenen Wähler zu besänftigen.“ Derweil erhalte Italien medizinische Hilfe von „den klugen Chinesen statt von den zaghaften europäischen Freunden“. Das Virus habe „die Heucheleien zerfressen“. Es bleibe nur noch „Rhetorik“, schreibt die Zeitung.

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