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Covid-Arzt im Interview : „Wie ein real gewordener Science-Fiction-Albtraum“

Dr. Cihan Çelik und seine Kollegen behandeln Covid-19-Patienten in Darmstadt Bild: privat

Ein Blick zurück auf ein turbulentes Jahr: Der Lungenarzt Cihan Çelik hat uns hier regelmäßig Updates von der Corona-Station im Klinikum Darmstadt gegeben. Nun blicken wir zurück auf 2020.

          7 Min.

          Herr Doktor Çelik, wir sprechen regelmäßig über Ihre Arbeit als Funktionsoberarzt auf der Isolierstation für Covid-19-Kranke im Klinikum Darmstadt. Wie ist dort die Lage?

          Johanna Dürrholz
          Redakteurin im Ressort „Deutschland und die Welt“.

          Wir sind aktuell bei über 60 Patienten auf unseren Stationen, dazu kommen noch 15 Patienten auf der Intensivstation. Letzte Woche waren es bei uns 40. Die Tendenz ist weiter steigend, so dass wir jetzt noch mehr Stationen für Covid-Patienten freiräumen. Die Kriterien für ein Ende der Isolationspflicht bei Erkrankten sind in Hessen strenger als vom RKI empfohlen. Das macht es uns teilweise schwer, die Patienten wieder zu entlassen. Patienten mit einem schweren Verlauf, die sich im Anschluss an die Krankenhausbehandlung nicht zu Hause isolieren können, müssen wir so lange auf der Station behalten, bis sie einen negativen Test haben. Das führt dazu, dass Patienten, die eigentlich keine stationäre Behandlungsindikation mehr haben und nach aller Wahrscheinlichkeit auch nicht mehr ansteckend sind, noch bei uns bleiben. Es kommen immer mehr schwer Betroffene zu uns, gleichzeitig haben wir Patienten, die nur noch das Ende der Infektiosität abwarten, und so wird der Platz eng.

          Bundesweit sind die Infektionszahlen hoch, die Zahl der Todesfälle so hoch wie nie.

          Die Entwicklung ist auch bei uns so, wie es diese Zahlen vermuten lassen. Auch bei uns haben wir immer mehr schwere Fälle, auch mehr Todesfälle und auch immer mehr Aufnahmen.

          Die Politik hat Ihre Bitten von letzter Woche erhört und den Lockdown ausgerufen. Nur an Weihnachten gibt es Ausnahmen.

          Ich habe mir das Schaubild mit den Regelungen angeguckt, und ich habe es ehrlich gesagt nicht verstanden. Das ist ja sogar komplizierter als unsere Isolationskriterien in Hessen! Ich kann verstehen, woher der Wunsch nach Ausnahmen an Weihnachten kommt. Aber aus unserer Sicht im Krankenhaus kann ich sagen: Es ist gerade nicht die Zeit für Kompromisse, wenn es um die Aufrechterhaltung der Krankenversorgung geht. In letzter Konsequenz hat hier der Mut gefehlt. Es ist aber ja nicht ausgeschlossen, dass die Menschen freiwillig vorsichtig sind. Mittlerweile sollte jeder wissen: Je weniger Kontakte – gerade generationenübergreifend –, desto besser. Man muss das Erlaubte nicht bis ins Letzte ausreizen.

          Weihnachten ist natürlich eine emotionale Zeit, auch für viele Familien.

          Ich kann das gut verstehen, auch in unserer Familie feiern wir sonst mit vielen Leuten groß Weihnachten. Dieses Jahr wird das etwas anders sein. Ich hab' ja eine gute Ausrede mit meiner Arbeit im Krankenhaus.

          Können Sie die Feiertage überhaupt genießen?

          Nein. Wir mussten gerade unsere Dienstpläne weiter ausbauen. Mittlerweile hat unsere Abteilung drei vollbesetzte Stationen zu versorgen, die 24 Stunden am Tag durch Ärzte betreut werden müssen. Das geht mit der ursprünglichen Planung, die wir noch letzten Monat hatten, natürlich nicht. Diesen Patientenansturm hatten wir nicht erwartet und Patientensicherheit steht an oberster Stelle. Darum werden die Dienstpläne hochgefahren – und da werde ich natürlich auch dabei sein.

          Sie werden Ihre Familie nicht wie sonst sehen?

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