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Covid-Arzt über Reinfektionen : „Ein Jahr nach einer Infektion muss man sehr vorsichtig sein“

Doktor Cihan Çelik, Facharzt für Innere Medizin und Pneumologie, im Klinikum Darmstadt. Bild: Frank Röth

Lungenarzt Cihan Çelik behandelt mittlerweile auch Patienten, die sich zum zweiten Mal angesteckt haben. Im Interview spricht er außerdem über ein angebliches Tabuthema und die in seiner Klinik angekommene Virus-Mutation.

          4 Min.

          Herr Doktor Çelik, wir sprechen regelmäßig über Ihre Arbeit als Oberarzt auf der Isolierstation für Covid-19-Kranke im Klinikum Darmstadt. Wie ist aktuell die Lage?

          Sebastian Eder
          Redakteur im Ressort „Gesellschaft & Stil“.

          Wir spüren, dass wir die Talsohle durchschritten haben. Die Zeit mit den niedrigsten Neuaufnahme-Zahlen scheint etwa ein bis zwei Wochen hinter uns zu liegen. Jetzt gibt es wieder mehr Neuaufnahmen als Entlassungen oder Verlegungen. In Zeiten mit niedriger Inzidenz verkleinern oder schließen kleinere Krankenhäuser ihre Covid-Stationen, was infektiologisch sinnvoll ist. Deswegen müssen wir als Maximalversorger das Gros der Patienten aufnehmen. Das merken wir, genau wie die leicht steigende Inzidenz. Wir sind aktuell bei einer vollbelegten Covid-Normalstation, einer Verdachtsstation und einer Intensivstation.

          Frustriert es Sie, dass die Corona-Maßnahmen immer gelockert werden, sobald sich die Lage bei Ihnen entspannt?

          Mir ist völlig bewusst, dass die Politik viele Aspekte beachten muss und nicht nur auf die Situation in den Krankenhäusern schauen kann. Politiker müssen sehr schwierige Abwägungen treffen, beispielsweise ist die Bildung der Kinder ein sehr hohes Gut. Das sollte aber niemals unter der Vorspiegelung falscher Hoffnungen stattfinden. Jeder Öffnungsschritt wird zu steigenden Inzidenzzahlen führen. In Hinblick auf den unstabilen R-Wert und die zunehmende Verbreitung der Mutation B.1.1.7 werden wir vermutlich einer dritten Welle nicht entgehen können. Und die verstärken wir mit Öffnungsschritten. Insofern kann ich mich über Öffnungen nicht freuen. Aber meine Perspektive ist nicht die einzige Perspektive, die wichtig ist.

          Es ist ziemlich genau ein Jahr her, dass zum ersten Mal ein Lockdown verhängt wurde. Ist das ein gutes Instrument?

          Was im Krankenhaus sehr gut funktioniert, sind die allgemeinen Hygienemaßnahmen: Abstand halten, Maske tragen, Kontakte reduzieren. Und wir haben natürlich gemerkt, dass wir immer den höchsten Patientenzustrom hatten, bevor ein Lockdown gewirkt hat. Ich vermute, dass das im Herbst besonders lange dauerte, weil man nicht ganz scharfe Maßnahmen erlassen hat, oder die Akzeptanz in der Bevölkerung nicht so hoch war. Kommen Menschen nicht zusammen, findet keine Virusübertragung statt, daran gibt es nichts zu rütteln.

          Haben Sie schon Patienten behandelt, die sich zweimal angesteckt haben?

          Ja, vereinzelt. Wenn die Infektion schon ein Jahr zurückliegt, muss man sehr vorsichtig sein. Grade ältere Patienten, die nach ihrer ersten Infektion noch nicht geimpft waren, haben sich in falscher Sicherheit gewiegt, wieder Freunde getroffen und sich noch mal angesteckt. Bei älteren Menschen lässt die Immunität leider schneller nach. Das betrifft nicht nur Menschen mit leichtem Verlauf. Es gab eine Patientin, die wir zum zweiten Mal aufgrund von Covid-19 im Krankenhaus behandeln mussten. Da haben wir geschluckt. Es kamen Erinnerungen hoch an alles, was wir hier bereits erlebt haben. Die Vorstellung, alle Patienten noch mal behandeln zu müssen, ist schrecklich. Deswegen hoffen wir, dass es mit den Impfungen schnell vorangeht und sie rechtzeitig aufgefrischt werden, falls das nötig ist.

          Ist die Mutation B.1.1.7, die in Großbritannien entdeckt wurde, bei Ihnen angekommen?

          Ja, sie ist voll angekommen im klinischen Alltag. Wir prüfen bei jedem zweiten oder dritten Patienten, ob er das mutierte Virus in sich trägt. Bei 20 bis 30 Prozent ist das der Fall, Tendenz steigend. B.1.1.7 wird den sogenannten Wildtyp – die normale Variante – bald verdrängt haben. Das Robert-Koch-Institut empfiehlt schon keine zwingende räumliche Trennung zwischen Patienten mit dem Wildtyp und mit B.1.1.7 mehr. Das wird nur noch bei den Varianten aus Südafrika und Brasilien empfohlen, weil die einer Impfung oder einer Vorinfektion entkommen könnten. Für B.1.1.7 gilt das vermutlich nicht, deswegen trennen wir die Patienten nicht mehr. Das ginge räumlich auf Dauer auch gar nicht. Wir haben unsere Isolationszeiten aber angepasst. B.1.1.7 fällt länger mit hoher Viruslast auf, deswegen steckt ein Betroffener im Schnitt auch mehr andere Menschen an. Das RKI hat die empfohlene Quarantänezeit bei den Varianten von 10 auf 14 Tage erhöht.

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