Flüchtlingslager in Kenia : Drinnen das Nötigste, draußen fast alles
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Endlich ganz vorne in der Warteschlange: Somalische Frauen haben die Speiseausgabe im Lager Dagahaley erreicht Bild:
Wer es bis nach Dadaab geschafft hat, ist dem Tod entkommen, aber mehr auch nicht. Das Flüchtlingslager in Kenia ist das größte der Welt. Dort werden fast eine halbe Million Menschen versorgt.
Hunger und Durst treiben Hundertausende somalische Familien aus ihren Siedlungsgebieten. Sie suchen Rettung in der Hauptstadt Mogadischu und in den Nachbarländern Äthiopien und Kenia. Nach Schätzung der Vereinten Nationen haben 1,4 Millionen der elf Millionen Somalier das Bürgerkriegsland verlassen, weitere 3,7 Millionen brauchen Lebensmittelhilfe. Zwei Jahre haben sie dort ohne einen Tropfen Regen durchgehalten. Die Somalier sind zähe Leute.

Politischer Korrespondent in Berlin
Ihre Lebensumstände könnte ein Durchschnittseuropäer keine zwei Wochen ertragen. Aber wenn das Vieh verendet und die Kinder sterben, machen sie sich auf den Weg. Die meisten gehen nach Kenia, wo bei dem Städtchen Dadaab schon seit 20 Jahren somalische Flüchtlinge hausen. Der Ort hatte ursprünglich 5000 Einwohner. Inzwischen sind die drei Hauptlager bei Dadaab (Dagahaley, Ifo und Hagadera) und die umliegenden irregulären Siedlungen auf mehr als 450.000 Personen gewachsen. Es ist das größte Flüchtlingslager der Erde.
Etwa 60 Prozent der Bewohner sind Kinder und Jugendliche. Jeden Tag kommen durchschnittlich 1350 Flüchtlinge hinzu. Das bedeutet, von allem anderen abgesehen, jeden Tag etwa 250 neue UN-Zelte in der staubigen Steppe zu errichten. Allein für 2011 werden für Dadaab 45.000 neue Zelte benötigt, so das UNHCR, die Flüchtlingshilfe der Vereinten Nationen. Die neu Ankommenden haben wenigstens 90 Kilometer Fußmarsch hinter sich, so weit ist es von der somalischen Grenze bis Dadaab. Über die Zahl derer, vor allen der Kinder, die unterwegs sterben, gibt es nur Schätzungen.
Nach ihrer Ankunft werden die Überlebenden draußen vor den Lagern von einem UNHCR-Team registriert. Sie erhalten eine Kennziffer, die Familienmitglieder werden fotografiert. Fingerabdrücke werden genommen und Lebensmittelkarten ausgehändigt. Der Außenring der Lager wächst ebenfalls ständig, zeitweilig hausen dort mehr als 35.000 Personen. Es gibt Menschen, die überleben seit einem Jahr vor den eigentlichen Flüchtlingscamps. Wer es schließlich in eines der drei Lager geschafft hat, ist dem Tod entkommen, aber mehr auch nicht. Draußen gehören auch Raub und Vergewaltigung zum Alltag, drinnen herrscht mehr Ordnung, aber auch nicht so sehr, das ein Aufruf überflüssig wäre, den der Leiter der Flüchtlingsregistratur auf seinem schwarzen T-Shirt trägt: „Echte Männer vergewaltigen Frauen nicht!“
Erste Hilfe im deutschen Krankenhaus
Drinnen, also hinter dem Drahtzaun, der das Lager umgibt, geht es zunächst zu den Gebäuden mit der Erstversorgung. Dort erhalten die registrierten Flüchtlinge ihre Grundausstattung für den Lager-Haushalt: Töpfe, ein paar Planen, Wasserbehälter. Außerdem eine Waschschüssel und Seife. Ein Großteil der Hygiene-Ausstattung wird von der Deutschen Welthungerhilfe geliefert: 900.000 Stück Seife, 135.000 Wasserkanister, 100.000 Waschschüsseln und Eimer. Hinzu kommt die Erstversorgung mit Lebensmitteln.
Kranke und besonders geschwächte Männer, Frauen und Kinder werden in der Aufnahmestation des Lagers medizinisch untersucht. Dabei wird entschieden, ob sie etwa in das deutsche Krankenhaus aufgenommen werden müssen, das die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) hier betreibt. Erste Hilfe finden dort besonders schwer unterernährte Kinder, aber auch schwangere Frauen und ältere Gebrechliche.
„CSB“ und einseitige Ernährung
Die Flüchtlinge in Dadaab zu versorgen ist ein aufwendiges aber vergleichsweise preiswertes Unterfangen. Nach Angaben des World Food Programme (WFP) kostet es etwa zehn Dollar im Monat, dort einen Menschen am Leben zu erhalten. Macht zusammen mit Zeltplanen und Kochtöpfen etwa 50 Millionen im Jahr für die Bewohner der Flüchtlingslager. Zum Vergleich: Der Haushalt für die 500.000 Einwohner der Stadt Dresden beträgt etwa 1,2 Milliarden Euro, wobei ein Großteil der Bürgerinnen und Bürger für ihre Lebensführung selbst aufkommen.
In Dadaab gibt es nur das Allernötigste: Wasser, Mehl, ein paar Tropfen Pflanzenöl, etwas Brennholz. Spezielle Rationen werden für geschwächte Kleinkinder, Schwangere und stillende Mütter ausgeteilt, oft in Form von nahezu geschmacklosen Proteinkeksen oder „CSB“ (Corn-Soja-Blend), einer gemahlenen Mischung aus Maismehl, Sojabohnen, Vitaminen und Mineralien. Auf dem Speisezettel steht immer dasselbe: 420 Gramm Getreidemehl, 60 Gramm Hülsenfrüchte, meist Mais, 30 Gramm Pflanzenöl und fünf Gramm Salz. Kinder, die zur Schule gehen, bekommen zehn Gramm Zucker, etwa zwei Teelöffel.