Wenn die Großeltern die Enkel erziehen : Oma, Opa, Kind
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Oma ist die Beste - wenn Mama nicht da ist. Das war in früheren Zeiten nicht anders als heute bei Familie Tigger. Bild: Schneider, Holde
Wenn Mama arbeiten will, muss Oma wieder ran: Ohne die Hilfe der Großeltern bekämen viele Paare Kinder und Job nicht unter einen Hut. Ist das gut für die Kinder?
Oskar Roehler fühlte sich abgeschoben. „Meine Mutter hat mich verlassen.“ Er hat ihr das übelgenommen, so sehr, dass er sein Leben lang in Selbstmitleid baden könnte, wenn er mit dem Regie führen und nun auch Bücher schreiben nicht viel zu beschäftigt wäre: „Diese Verachtung meiner Person!“ Die Großeltern haben ihn aufgenommen und zu einem ganz altmodischen Menschen gemacht - sie hatten eine Gartenzwergfabrik im Fränkischen und lebten ihm seltsame Dinge vor. „Ich habe eine merkwürdig skurrile Sparsamkeit entwickelt, ich werfe kein Brot weg. Ich habe bis zu meinem dreizehnten Lebensjahr eine Verbeugung gemacht bei Frauen, und ich habe bis heute Umgangsformen, die mir zu schaffen machen. Im Hotel grüße ich jeden, und dann werde ich manchmal nicht zurückgegrüßt, das ist scheiße.“
Wenn Großeltern ihre Enkel erziehen, läuft einiges anders, als wenn die Eltern das tun. Deswegen gab es früher in vielen Familien Vorbehalte dagegen. „Die Erziehungsleistung von Großeltern wurde jahrhundertelang latent negativ bewertet. Es hieß ganz pauschal, sie seien körperlich und geistig im Abbau. In vielen pädagogischen Ratgebern heißt es noch bis in die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts hinein, man solle die Kinder eher nicht von den Großeltern erziehen lassen. Das sei gefährlich, weil die nicht schnell genug hinterherkämen“, so Erhard Chvojka, Sozial- und Kulturhistoriker und Autor des Buches „Geschichte der Großelternrollen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert“.
Ein mehr als kuscheliges Verhältnis
Momentan sieht das Verhältnis zwischen den Generationen allerdings mehr als kuschelig aus. Ohne den Einsatz von Oma und Opa geht in vielen jungen Familien mit Kindern gar nicht mehr viel. Barack Obama wuchs bei seinen Großeltern auf. Ebenso Eric Clapton, Pierce Brosnan, Jean-Paul Sartre, Loriot und der Telekom-Vorstand René Obermann. Meist war die Scheidung der Eltern oder der Tod der Mutter der Grund dafür. In jüngerer Zeit führt aber auch der Wunsch vieler Mütter, berufstätig zu sein, zu einer mehr oder weniger umfassenden Betreuung der Enkel durch die Großeltern.
„Ich hätte sonst nicht arbeiten gehen können“, sagt zum Beispiel Elisa Tigger, 38, aus Havixbeck-Hohenholte, einem kleinen Dorf in der Nähe von Münster. „Das wäre mit der Tagesbetreuung, die es hier im Ort für unter Dreijährige gibt, ökonomisch nicht sinnvoll gewesen. Und mein Arbeitgeber hätte mir keine Stelle mit weniger Stunden angeboten.“ Nur weil ihre Schwiegereltern ein- bis zweimal in der Woche nachmittags auf Jakob, 6, und Ruben, 3, aufpassen, kann sie zwanzig bis dreißig Stunden in der Woche als Sozialpädagogin im Jugendamt arbeiten. Und das schon, seit ihr Jüngster acht Monate alt ist.
„Ohne die volle Verantwortung, viel freier“
Elisas Schwiegereltern Mechthild und Albert Tigger, die fast nebenan wohnen, helfen gern. Niemals würde Oma „Mecki“, 65, auf die Idee kommen, dass ihr die Rolle als Ersatzmama zu viel werden könnte - obwohl sie immer noch in Teilzeit in dem Steuerberaterbüro arbeitet, das sie einst gegründet hat. Sie fühlt sich an ihre eigene Mutterschaft erinnert, wenn die Enkel bei ihr sind, „bloß ohne die volle Verantwortung, viel freier“. Opa Albert, 70, aktiv im Schützen- und Karnevalsverein, ist zwar schon zu steif, um auf dem Boden knien und zu spielen. Doch deswegen das Handtuch werfen? Wer soll denn dann auf die Enkel aufpassen! Das kann auch er sich nicht vorstellen. Und so zieht er pünktlich um zwölf Uhr mittags los, um Ruben vom Kindergarten abzuholen, schlängelt sich routiniert zwischen Gummistiefeln, Kinderwagen und jungen Müttern vorbei in den Gruppenraum, plaudert mit einer Erzieherin und beugt sich schließlich zu Ruben hinunter, einem kleinen blonden Jungen mit Brille, der gerade ein Bild malt. „Du musst mit rechts malen, siehst du, das kannst du doch.“
Opa Albert und Oma Mecki sind in bester Gesellschaft. Jedes vierte Großelternpaar in Deutschland betreut die Enkel regelmäßig, so der aktuelle „Alterssurvey“ des Deutschen Zentrums für Altersfragen in Berlin. Wenn es ums sporadische Aushelfen geht, tun das sogar mehr als die Hälfte. So wird jedes dritte Kind von den Großeltern mitbetreut, und jedes fünfte Elternpaar nimmt die Hilfe regelmäßig in Anspruch. Vorbei sind Zeiten wie Achtundsechzig, als die Kinder auf Distanz zu den Eltern gingen und alles anders machen wollten. Kaum ein Blatt Papier passt heute noch zwischen Jung und Alt, so scheint es. Wer kann es sich denn heutzutage noch leisten, die Hilfe seiner Eltern bei der Betreuung der Enkel auszuschlagen? Und sollte es Konflikte geben, bemüht man sich eben, sie beizulegen. So wie jene Pressesprecherin aus Köln, die sich einer Psychotherapie unterzog, um besser mit ihrer Mutter auszukommen. „Ich hatte akuten Notstand bei der nachmittäglichen Kinderbetreuung“, erklärt die 43 Jahre alte Mutter von zwei Kindern, „da bot meine Mutter an, in die Bresche zu springen. Zuerst konnte ich mir das gar nicht vorstellen. Aber ich hatte keine bezahlbare Alternative. Und so habe ich eben versucht, die Probleme, die ich mit ihr hatte, aus dem Weg zu räumen.“
Ohne unsere Großmütter gäbe es uns Menschen nicht
Großeltern werden gebraucht. So einfach ist das. Berufstätige Mütter, die eine Großmutter in ihrer Nähe haben, werden von ihresgleichen arg beneidet. Oma und Opa sind nach Eltern und Kindergarten die wichtigsten Betreuungspersonen für Kinder unter sechs, so das Deutsche Jugendinstitut in München. Ohne sie wäre die Quote berufstätiger Mütter noch geringer, als sie ohnehin schon ist, denn nur ein Drittel aller Eltern hält das Angebot von Kindergärten und Krippen für ausreichend. Man könnte auch sagen: Die Großeltern tragen dazu bei, dass Frauen sich emanzipieren können. Und das ist noch nicht alles.
Ohne unsere Großmütter gäbe es die Menschen gar nicht, glaubt Eckart Voland, Professor für Biophilosophie an der Universität Gießen. Er ist davon überzeugt, dass der entscheidende Grund für die Entwicklung des Menschen nicht die großen Jagderfolge unserer männlichen Vorfahren waren. Sondern vielmehr die Tatsache, dass bei uns schon die Großmütter der Steinzeit bereit waren, ihren Teil zum Aufwachsen der Enkel beizutragen. „Das ist ein ganz wichtiger Unterschied, nur so konnten wir fruchtbarer sein als die anderen großen Menschenaffen und uns schließlich evolutionär weiterentwickeln. Eine Orang-Utan-Dame hat zum Beispiel keine Hilfe von ihrem Partner oder ihrer Mutter zu erwarten. Deswegen lässt sie sich im Schnitt fünf Jahre Zeit, bevor sie wieder trächtig wird.“ Frauen, die sich der Unterstützung ihrer Mütter sicher sein könnten, seien hingegen eher bereit, mehrere Kinder zu bekommen. Daran hat sich in den letzten 2,6 Millionen Jahren nichts geändert, wie das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in einer großangelegten Erhebung mit mehr als 10 000 Teilnehmern herausgefunden hat: Demnach ist es bei der Familienplanung von entscheidender Bedeutung, ob die Großeltern signalisieren, dass sie sich mit um ihre künftigen Enkel kümmern wollen.
Durch Wälder und Wiesen streifen
Bei den Tiggers war das auch so: „Für uns hat das schon eine Rolle gespielt“, erinnert sich Elisa. „Die Betreuung des ersten Kindes durch die Großeltern hat sehr gut geklappt, deswegen konnten wir uns gut vorstellen, noch ein zweites zu kriegen und trotzdem Job und Familie unter einen Hut zu bekommen.“ Gerade ist sie von der Arbeit im Jugendamt nach Hause gekommen, ihr Mann Dirk, der bei der Feuerwehr ist, hat Schichtdienst. Nun macht sie ihren Söhnen Abendessen und kämmt nebenbei mit einem feinen Kamm durch Jakobs Haare, weil in der Schule gerade die Läuse kursieren. „Da hab’ ich eine!“, ruft sie kurz darauf und ist sehr gefasst. Sie ist ja nicht darauf angewiesen, dass Jakob morgen in die Schule geht. Falls die Schwiegereltern wider Erwarten so spontan keine Zeit haben sollten, gibt es immer noch Elisas Vater - Opa Bernhard. Der freut sich auch, wenn er mit den Kindern durch Wälder und Wiesen streifen und ihnen sein Wissen über Natur und Technik vermitteln kann.
Wie sehr sich westeuropäische Senioren für ihre Nachkommen engagieren, kann man sogar messen. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Großeltern mehr geben als nehmen - und zwar sowohl Geld als auch Zeit. „Wenn man sich die Geldflüsse anguckt und zusätzlich für geleistete soziale Unterstützung einen Stundenlohn von 7,50 Euro zugrunde legt, stellt sich heraus, dass Menschen im Alter zwischen 50 und 60 im Jahr durchschnittlich rund 2500 Euro mehr an ihre Kinder und Kindeskinder geben, als sie von ihnen bekommen. Bei den 60- bis 70-jährigen ist es ein Plus von 4000 Euro im Jahr, und bei den 70- bis 80-jährigen ein Plus von 2000 Euro. Nur Menschen über 80 werden zu Empfängern: Sie bekommen etwas mehr als 1000 Euro im Jahr“, sagt Martin Kohli, Professor für Soziologie am European University Institute im italienischen San Domenico di Fiesole und einer der Initiatoren des „Survey of Health, Aging and Retirement in Europe“.
Aber was ist mit den Enkeln?
Aber was ist mit den Enkeln? Finden die das eigentlich auch schön, so viel Zeit mit Oma und Opa zu verbringen? Wissenschaftler wie der Schweizer Altersforscher François Höpflinger sagen, dass sie ebenso gern mit ihren Großeltern zusammen seien wie die Großeltern mit ihren Enkeln. Studien mit mehr als 1000 Teilnehmern haben das belegt.
Einer, der schon länger kein Enkel mehr ist, kann das aus eigener Anschauung bestätigen. Peter Lustig, 74, war ein Jahr alt, als sein Vater starb. Seine Mutter arbeitete in einer Bank und war mit dem Kind überlastet. So wächst der kleine Peter bei seinen Großeltern in Breslau auf. Die Oma liebt er mehr als die Mutter, und den Opa - einen „Oberstraßenbahnfahrer“ - liebt er wie den Vater, an den er sich gar nicht mehr erinnern kann. Harte Zeiten sind das, im Krieg sind sie oft kurz vor dem Verhungern. Doch er war glücklich: „Mir konnte gar nichts Besseres passieren.“ Seine Großeltern seien „liebevoll bis zur Selbstaufgabe“ gewesen - und dennoch niemals gestresst. Welche Eltern können das schon von sich behaupten? Lustig, einst Moderator der Kindersendung „Löwenzahn“ und angeheirateter Opa der sieben Enkel seiner dritten Frau, ist sich daher sicher: Für Kinder ist es schön, viel Kontakt zu den Großeltern zu haben. „Da haben sie mehr Auswahl an Menschen, mit denen sie umgehen. Nicht nur die beiden Eltern. Denn wenn man Pech hat, sind Vater und Mutter die falschen.“
„Gib sie her, du lässt sie fallen“
So wie bei Alice Schwarzer. Ihre Mutter wurde im Zweiten Weltkrieg ungewollt schwanger, von einem Soldaten auf Heimaturlaub. Klein-Alice war ein Kind der Schande, so schreibt sie es in ihrer gerade erschienenen Biographie. Als die Mutter in den Wehen liegt, sagt der Arzt zu ihr: „Na, rein geht eben leichter als raus.“ Auch der Vater ihrer Mutter - Alice’ Großvater - traut seiner Tochter nicht viel zu. Als sie mit der neugeborenen Alice aus der Klinik zu ihren Eltern kommt, fordert er sie auf: „Gib sie her, du lässt sie fallen.“ Schwarzer erinnert sich an ihre Mutter als an eine Frau ohne jedes Talent zur Mütterlichkeit - sie wird lebenslang eine Art fremde Schwester für sie bleiben. Wärme empfindet sie nur bei den Großeltern, die sie aufziehen.
Man sollte es daher wohl bedauern, dass es hierzulande immer weniger Omas und Opas geben wird. Noch sind zwar fast die Hälfte aller Deutschen im Alter zwischen 40 und 85 Jahren welche. Doch obwohl wir immer älter werden, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass das auch so bleibt: Je später wir geboren sind, desto weniger Enkel werden wir haben. Denn junge Frauen bekommen immer weniger und immer später Kinder, so das Deutsche Zentrum für Altersfragen.
Von zwanzig bis Mitte vierzig immer wieder Babys
Vielleicht wird ein liebevolles Miteinander von Enkeln und Großeltern historisch gesehen sogar eher die Ausnahme bleiben. Denn früher hatten beide Gruppen nur wenig miteinander zu tun, wie Erhard Chvojka erklärt. Noch im 17. und 18. Jahrhundert, als die Frauen nicht systematisch verhüteten, bekamen sie von zwanzig bis Mitte vierzig immer wieder Babys. Wenn sie dann Anfang fünfzig waren, hatten sie selbst noch kleine Kinder, aber auch schon Enkel. Da blieb wenig Zeit, um in die Großelternrolle zu schlüpfen. Tatsächlich griffen damals vor allem Arbeiterfamilien auf die Hilfe der Großeltern zurück - weil beide Partner erwerbstätig sein mussten. Das Bürgertum beobachtete dies mit gerümpfter Nase: Es war verpönt, weil die Großeltern als weniger gut für die Erziehung geeignet galten als die Eltern. Geändert habe sich dies erst Ende des 18. Jahrhunderts, als die Frauen zu Hause blieben und sich um die Familie kümmerten, während die Männer aus dem Haus gingen, um zu arbeiten. Eine „emotional besetzte Privatsphäre“ bildete sich heraus - und mit ihr wurde die Beziehung der Enkel zu den Großeltern wichtig, sagt Chvojka.
Heute sind die Kritiker in der Minderzahl. Oma und Opa werden gebraucht, sie sind das familiäre Supportsystem der Gegenwart. Und auch das der Vergangenheit, bloß anders. Früher wurde durch die Mithilfe insbesondere der Großmütter die Säuglingssterblichkeit reduziert, wie eine Auswertung alter ostfriesischer Kirchenbücher ergab. „Die Großmütter hatten einfach mehr Erfahrung im Umgang mit Krankheiten“, erklärt Eckart Voland. „Sie wussten besser als die Mütter, wie man mit den Kindern umgeht.“ Fest steht auch, dass Kinder sich früher eher altersgemäß entwickelten, wenn die Großmutter bei der Erziehung half. Oder dass sie Hungersnöten und Epidemien besser trotzen konnten.
„Oma-Faktor“ bei kindlichem Übergewicht
Warum aber ist ausgerechnet die Hilfe der Großmütter so ausschlaggebend für die Gebärfreudigkeit der Mütter? Warum genügt es vielen Frauen nicht, wenn sie einen Mann gefunden haben, den sie sich als Vater ihrer Kinder vorstellen können? Nach den Untersuchungen von Voland sind Männer einfach zu unzuverlässig. „Der Mann ist eher flüchtig“, weiß der Professor. „Auf die Hilfe der eigenen Mutter kann sich eine Frau dagegen meist ihr Leben lang verlassen.“
Es gibt heute nur noch wenige Bedenken gegen Großeltern als Betreuungspersonen. Aber es gibt sie. Zum Beispiel haben Forscher einen „Oma-Faktor“ bei kindlichem Übergewicht ausgemacht: Ein Team vom University College in London untersuchte 12 000 Kleinkinder und stellte fest, dass ein Drittel aller Kinder, die in Vollzeit von ihren Großmüttern betreut wurden, übergewichtig waren. Bei nur in Teilzeit von Großmüttern betreuten Kindern lag das Risiko bei 15 Prozent. Kinder in Kitas oder bei Tagesmüttern waren hingegen nicht überdurchschnittlich dick. Die Forscher glauben, dass die Großeltern nicht genug über gesunde Ernährung wissen, dass sie das kindliche Bewegungsbedürfnis unterschätzen und Süßigkeiten als Belohnung anbieten.
Ein strafender Blick von seiner Frau
Das ist auch bei den Tiggers ein Thema. „Wir verwöhnen nicht“, sagt Oma Mecki. „Aber sie dürfen schon mal ein Plätzchen mehr essen als zu Hause“, ergänzt Opa Albert lächelnd und erntet einen strafenden Blick von seiner Frau. „Ich bin da zurückhaltender. So viele Süßigkeiten sind ja nicht toll, und Elisa hat uns gebeten, da vorsichtiger zu sein. Daran halte ich mich.“ Schwiegertochter Elisa weiß aufgrund dieser Zuverlässigkeit ganz genau, was sie an den Großeltern hat: „Alle Beteiligten profitieren davon: Die Kinder fühlen sich wohl, ich habe ein sicheres Gefühl, und die Großeltern bleiben fit.“ Über mangelnde Nachfrage für ihre Dienstleistung können Oma und Opa Tigger sich also nicht beklagen, ganz im Gegenteil: Ihr jüngstes Enkelkind, die erste Tochter ihres ältesten Sohnes, ist gerade mal 20 Monate alt. Und auch sie hat schon ein Gitterbettchen in dem Kinderzimmer, das Oma Mecki und Opa Albert in ihrem Haus eingerichtet haben.
Deutsche Großeltern engagieren sich auch im europäischen Vergleich sehr stark für ihre Enkel, wie eine Befragung von mehr als 30 000 Senioren in elf europäischen Ländern zutage förderte. Aktiver als die Deutschen sind lediglich die Südeuropäer. Weitaus seltener kümmern sich hingegen die Skandinavier um ihre Enkel. Das könnte daran liegen, dass es dort mehr öffentliche Kinderbetreuungsangebote gibt als in Deutschland. Oder daran, dass die Krippe hierzulande nicht in jeder Familie als die beste aller Betreuungsmöglichkeit angesehen wird.
Bei Ministerin Schröder helfen die Eltern
Familienministerin Kristina Schröder, deren Töchterchen Lotte Marie Ende Juni auf die Welt kam und die kurz darauf an ihren Schreibtisch zurückkehrte, greift jedenfalls lieber auf die Hilfe ihrer Eltern Nordhild und Helmut Köhler zurück. Während der Sitzungswochen des Bundestages halten sie ihrer Tochter den Rücken frei. Vorgängerin und Kabinettskollegin Ursula von der Leyen setzt bei der Betreuung ihrer sieben Kinder ebenfalls auf die private Betreuung. Sie vertraut den Nachwuchs neben einer Tagesmutter auch ihren Eltern und Schwiegereltern an.
Nur sehr selten trifft man auf Mütter, die die Hilfe ihrer eigenen Eltern rundheraus ablehnen. So wie jene alleinerziehende Unternehmensberaterin aus Nordrhein-Westfalen, die sagt: „Ich will die Hilfe meiner Eltern nicht in Anspruch nehmen. Sonst fühle ich mich gezwungen, mich später um sie zu kümmern, sollten sie pflegebedürftig werden. Und das will ich nicht.“
„Wo sind denn deine Eltern?
Auch das gibt es eben: Menschen, die mit Familie nicht so sehr viel anfangen können. Zumindest nicht mit den Pflichten, die damit einhergehen. Wenn die dann trotzdem Kinder bekommen, kann das schon mal so enden wie bei Daniel Vetter, einem 44 Jahre alten Pressesprecher aus Süddeutschland, der bei seinen Großeltern in Niedersachsen aufgewachsen ist und seinen wirklichen Namen nicht genannt sehen möchte. Vetter litt unter den neugierigen Fragen seiner Mitschüler, die von ihm wissen wollten: „Wo sind denn deine Eltern? Wann kommen die wieder?“ Denn das wusste er selbst meist nicht so genau. Seine Mutter, eine Lehrerin, hatte ihn bei ihren Eltern zurückgelassen, weil sein Vater, ein Ministerialrat, keine Kinder gewollt hatte. Der Sohn war ein Unfall. „Ich konnte mich gegenüber meinen Mitschülern bloß damit retten, dass ich ab und zu sagen konnte, meine Eltern seien zu Besuch gewesen oder ich sei eine Woche lang mit ihnen verreist“, erinnert er sich. Das immerhin war wirklich so, denn ab und zu schauten die Eltern dann doch mal vorbei. Heute hat Vetter ein freundschaftliches, aber kein besonders enges Verhältnis zu ihnen. Seine Eltern waren für ihn seine Großeltern. Und die sind bereits verstorben.
Groll verspürt Vetter nicht, wenn er an seine leiblichen Eltern denkt. „Das war eben so, so was gibt es ja“, sagt der zweifache Familienvater. Auch der Regisseur Oskar Roehler, dessen Großvater mit ihm freitagabends an den Fluss ging und ihn dort lehrte, sich die Brust und die Achseln mit Kernseife zu waschen, hat Verständnis für seine Mutter, die Schriftstellerin Gisela Elsner, die ihn zu den Großeltern abschob: „Ein Kind hätte in ihrem Leben keinen Platz gehabt. Sie musste aufgrund ihrer Begabung ausbrechen aus der bürgerlichen Enge.“ Bei ihm selbst ist es ähnlich: „Ich hatte viel zu kämpfen. Ich habe mich selber aus dem Sumpf rausgezogen und als Künstler erschaffen.“ Auf seine Eltern als Babysitter hätte er dabei nicht zählen können. Bis heute ist er kinderlos. „Ein Kind hätte mich nur gestört.“