Bildungschancen : Arme Kinder kommen seltener aufs Gymnasium
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Kinder aus sozial schwachen Schichten werden beim Übertritt aufs Gymnasium benachteiligt - das ergab eine Mainzer Studie Bild: picture-alliance/ dpa
Kinder aus sozial schwachen Schichten erhalten seltener eine Empfehlung fürs Gymnasium als Sprösslinge reicher Familien - und das bei gleichen Noten. Das ergab eine Studie der Mainzer Gutenberg-Universität.
Spätestens in der vierten Klasse steigt der Druck auf Grundschüler - der Übertritt auf die weiterführenden Schulen naht. Gut die Hälfte der Eltern möchte, dass ihr Kind ein Gymnasium besucht. Doch dabei spielt die Herkunft ihrer Sprösslinge eine entscheidende Rolle. Denn Schüler aus sozial schwachen Schichten werden beim Übertritt an die höhere Schule benachteiligt - das ist das Ergebnis einer Studie der Mainzer Gutenberg-Universität.
Stefan Hradil vom Institut für Soziologie der Mainzer Uni befragte mit seinem Team im März 2007 rund 2000 Viertklässler der 35 staatlichen Grundschulen in Wiesbaden sowie deren Eltern und Klassenlehrer. Untersucht wurde dabei, welchen sozialen Schichten die Kinder angehörten und welche weiterführende Schule sie nach der Grundschule besuchten. Ebenfalls geprüft wurde, inwieweit sich der Wunsch der Eltern, welche weiterführende Schule ihr Kind besuchen soll, erfüllte. Dabei habe sich gezeigt, dass die Lehrer beim Übertritt auf das Gymnasium „offenbar nicht nur aufgrund von Schulleistungen über die Empfehlung“ entschieden, sondern dass auch die soziale Herkunft der Kinder eine Rolle spiele. Es gebe nur wenige vergleichbare Studien, aber es sei anzunehmen, dass die Situation an vielen anderen Orten Deutschlands ähnlich sei, erklärte Hradil.
Unterschiedliche Bewertung bei gleichen Noten
So erhielten 81 Prozent der Kinder aus der Oberschicht eine Gymnasialempfehlung, jedoch nur 14 Prozent der Kinder aus Unterschichthaushalten. Je höher das Bildungsniveau der Eltern war, desto wahrscheinlicher die Gymnasialempfehlung für ihre Kinder, so die Studie. Die Schulempfehlungen seien selbst dann eine Frage der sozialen Herkunft, wenn die Schüler die gleichen Leistungen erbrächten. Zwar seien die Noten selbst immer noch der wichtigste Einflussfaktor dafür, ob die Empfehlung für ein Gymnasium erteilt werde oder nicht.
Betrachte man aber nur Kinder etwa mit der Durchschnittsnote 2,0, dann bekämen Schüler aus der niedrigsten Bildungs- und Einkommensgruppe nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 76 Prozent eine Gymnasialempfehlung, während in der Oberschicht nahezu alle Kinder, nämlich 97 Prozent, eine Empfehlung für das Gymnasium erhielten.
Als Unterschicht definierten die Forscher Familien mit einem monatlichen Pro-Kopf-Einkommen bis 500 Euro und Eltern mit einem geringen Bildungsabschluss, als Oberschicht Familien mit einem Pro-Kopf-Einkommen von mehr als 1250 Euro und mindestens einem Elternteil mit Gymnasialabschluss.
Lehrer benachteiligen Schüler nur unbewusst
Dass Lehrer ihre Schüler beim Übertritt auf das Gymnasium aber absichtlich benachteiligen, ergab die Studie nicht. „Eine bewusste Diskriminierung durch die Lehrer möchte ich ausschließen“, sagte Alexander Schulze, wissenschaftlicher Mitarbeiter Hradils und Miterheber der Studie. Den Übertritt an weiterführende Schulen ebne zuallererst die schulische Leistung, die zunächst an den Noten der Kinder abgelesen werden könne. Dann komme die Lehrer-Empfehlung, und auch der Elternwunsch spiele natürlich eine Rolle. Oftmals würden die Eltern ihre Kinder jedoch auch überschätzen - ihr Schulwunsch entspräche dann meist nicht der von den Lehrern ausgesprochenen Empfehlung.
Gerade in der Oberschicht sei der Wunsch, sein Kind aufs Gymnasium zu schicken, mit 82 Prozent sehr groß, wohingegen nur 21 Prozent der Eltern aus der Unterschicht ihren Sprössling auf dieser Schulform sehen möchten. In der sozial stärkeren Schicht sei jedoch auch die Unzufriedenheit der Eltern mit den Lehrkräften mit rund 10 Prozent doppelt so hoch wie die der Unterschicht. Daraus lässt sich ablesen, dass sich Eltern aus der Oberschicht eher für den schulischen Erfolg ihrer Kinder engagieren und öfter offen Kritik an den Lehrern ihrer Kinder üben - was diese in ihrer Entscheidung über die Schulempfehlung beeinflussen könnte. Dieser Gedanke sei in der Studie zwar nicht untersucht, so Schulze, „diese Interpretation liegt aber nahe.“
Migrantenkinder gehen seltener aufs Gymnasium
Die Mainzer Studie ergab zudem, dass Kinder mit Migrationshintergrund weniger Chancen haben, den Übertritt aufs Gymnasium zu schaffen, als Schüler einheimischer Eltern. Die schlechteren Bildungschancen von Migrantenkindern hängen jedoch weniger mit ihrem Einwanderungshintergrund zusammen als vielmehr mit ihrem durchschnittlich niedrigeren Sozialstatus.
Verglich man Kinder mit und ohne Migrationshintergrund, dann zeigte sich, dass einheimische Kinder zu 66 Prozent eine Gymnasialempfehlung erhielten, Kinder mit Migrationshintergrund jedoch nur zu 50 Prozent. „Dieser Abstand lässt sich aber nahezu vollständig auf die schlechtere Einkommens- und Bildungsposition der betroffenen Haushalte mit Einwanderungshintergrund zurückführen“, heißt es in dem Bericht. Die schlechteren Bildungschancen von Migranten seien also letztlich ein „Unterschichtungsphänomen“.