Keuschheitsbälle : Kein Sex vor der Ehe!
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„Das Beste war die Schlüsselübergabe.“ Brookes Augen leuchten. Die Sechzehnjährige in crèmefarbenem Ballkleid mit Tüllrock und strassbesetzter Taille ist noch ganz zappelig und aufgeregt. „Als ich Daddy den Schlüssel gab, da hab' ich mir vorgestellt, wie es an meinem Hochzeitstag sein wird. Wenn Dad den Schlüssel an meinen späteren Mann weitergibt. Ich werde vor Rührung weinen.“
Joe, Vater der zwölf Jahre alten Alexandra, kommen jetzt schon die Tränen. „Es war so bewegend, als meine Tochter mir den Schlüssel zu ihrem Herzen gab“, sagt der stattliche Mann und wischt sich die Augen. Ein Vater ist sogar den weiten Weg von Texas nach Illinois gekommen. „Die Schlüsselszene ist mir so wichtig wie die Hochzeit meiner Tochter.“ Die Fünfzehnjährige hat allerdings gemischte Gefühle. Als „sehr schön“ habe sie die Schlüsselübergabe empfunden, sagt Destinee zögernd. „Aber es war auch seltsam.“
„Father-Daughter Purity Ball“
Die Schlüsselszene ist Höhepunkt einer Festivität, die selbst im puritanisch-religiösen Amerika Aufsehen erregt. Beim „Father-Daughter Purity Ball“ in Peoria im Mittleren Westen, auf halbem Wege zwischen Chicago und St. Louis, versprechen zu Ballköniginnen herausgeputzte Töchter im Alter von elf bis knapp zwanzig Jahren ihren ebenfalls festlich gekleideten Vätern, keinen Sex vor der Ehe zu haben.
Zuerst sind jedoch die Väter dran: Im kerzenbeschienenen Ballsaal, der wie für eine Hochzeit geschmückt ist, unterschreiben sie eine „Reinheits-Verpflichtung“. Darin heißt es, als „Hoher Priester“ werde der Unterzeichnende über die Keuschheit seiner Tochter wachen und selbst ein reines Leben als „Mann, Ehemann und Vater“ führen. Anschließend wird den mehr als zweihundert versammelten Töchtern symbolisch der Keuschheitsgürtel angelegt: „Dad, das ist der Schlüssel zu meinem Herzen. Hüte ihn bis zum Tag meiner Hochzeit“, flüstern die Mädchen, während sie ihren Vätern einen zierlichen Schlüssel übergeben. Anschließend liegen sich Väter und Töchter in den Armen, bis der Moderator ankündigt, nun sei es Zeit, das Keuschheitsversprechen gegenüber Gott zu besiegeln. Dafür wird jedem Mädchen eine weiße Rose überreicht. Wie auf dem Weg zum Traualtar schreiten die Töchter damit am Arm ihrer Väter durch den Ballsaal.
Vor der Bühne, auf der ein Brautkleid die Freuden jungfräulicher Eheschließung verheißt, teilt sich die Prozession und strebt auf zwei weiße, mit Satinschals geschmückte Kreuze zu. Dort stapeln sich die Rosen, die die Mädchen niederlegen. Danach gibt es wieder Umarmungen, Tränen der Rührung und Gebete.
Befremdliche und gespenstisch Szenerie
Die Szenerie mag befremdlich, fast gespenstisch anmuten. Wer da mitmacht, muss völlig weltfremd, verklemmt und fundamentalistisch sein, könnte man meinen. Tatsächlich jedoch herrscht abseits des offiziellen Programms eine heitere, unbekümmerte Atmosphäre. Mit nachsichtigem Lächeln verfolgen die Väter, wie ihre aufgeregt kichernden Töchter durch den Saal schwirren, sich in ihren Ballkleidern gefallen und in Grüppchen auf die Toilette rennen, um Make-up und Frisur zu kontrollieren. Selbst von den Jüngsten haben einige für den Festabend stundenlang bei der Kosmetikerin und beim Friseur gesessen. Manche sind zurechtgemacht wie Märchenprinzessinnen, bis hin zur silbernen Krone zwischen den Korkenzieherlocken. Andere sehen ziemlich sexy aus in ihren figurbetonten Abendkleidern. Das Keuschheitsgebot verbietet es nicht, viel Dekolleté und Bein zu zeigen. Selbst schwarz lackierte Fingernägel und hochhackige Pumps mit Leopardenmuster sind erlaubt.