Gespräch über Kinderlosigkeit : „Es fehlt etwas, das dazugehört“
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Zwei Millionen Paare gibt es in Deutschland, die auf natürlichem Weg keine Kinder kriegen können. Bild: Image Source
Millay Hyatt erfuhr mit 32, dass sie kein Kind bekommen kann. Jetzt hat sie ein Buch geschrieben - über Freiheit und Trauer, über Reproduktionsmedizin und Adoption, über Schlussstriche.
Frau Hyatt, Sie wünschen sich seit neun Jahren ein Kind und haben keins. Wie fühlt sich das an?
Als ich erfahren habe, dass ich keine leiblichen Kinder bekommen kann, war das ein Schock. Ich bin verfrüht in die Wechseljahre gekommen und wusste nicht einmal, dass es so etwas gibt. Damit ist vieles zusammengebrochen. Eine ungewollte Kinderlosigkeit ist wie der Verlust eines geliebten Menschen.
Sie sprechen von Tod, dabei hat überhaupt niemand gelebt - ist das nicht übertrieben?
Nein, es ist nur schwierig zu vermitteln. Menschen, die ohne Hindernisse zu ihren Kindern gekommen sind, sind oft perplex über die Vehemenz dieser Trauer. Aber jedes Lebewesen kann sich fortpflanzen. Es gehört zu unserem Menschenbild, dass wir Kinder bekommen können. Insofern geht es um den Verlust einer Selbstverständlichkeit.
Das hat etwas mit dem Selbstbild als Frau zu tun?
Oder als Mann. Kinderwünsche sind nicht nur ein Frauenthema, die Männer verzweifeln auch. Ein Freund von mir hat es als Amputation beschrieben: Auf einmal fehlt etwas, von dem man dachte, es gehöre dazu. Zum anderen macht die Erfahrung, dass es nicht möglich ist, ein Kind zu bekommen, dieses Kind rückwirkend sehr konkret und lebendig.
In Ihrem Buch nennen Sie den Kinderwunsch ein „wildes, hungriges Tier“.
Der Kinderwunsch ist nicht wie andere Wünsche. Er entsteht unter der Oberfläche, bevor man darüber nachdenkt. Ich war mir lange Zeit sicher, dass ich keine Kinder will, auch weil ich gesehen habe, wie meine Mutter sich für uns aufgeopfert hat. Ich wollte meine Freiheit und ein Leben für mich. Um meinen 30. Geburtstag herum habe ich dann angefangen zu träumen, dass ich Mutter werde - und das waren sehr schöne Träume, die sich allmählich ins wache Leben schlichen. Ich war erschrocken und habe das verdrängt. Ich dachte, meine Hormone spielen verrückt, das geht wieder weg. Aber es ist nicht weggegangen.
Was also ist der Kinderwunsch? Urtrieb oder Kopfgeburt?
Da kommen verschiedene Einflüsse zusammen, aber ich denke, dass es viel mit einem Trieb zu tun hat. Ich kann mir diese Vehemenz nur so erklären, dass es etwas ist, das tief in Psyche oder Körper angelegt ist und das wir nicht beherrschen.
„Andere Menschen haben Sex, um ein Kind zu bekommen. Ich sitze vor dem Computer“, schreiben Sie. Was meinen Sie damit?
Sobald man nicht mit dem Partner im Bett ein Kind zeugen kann, wird es kompliziert. Man muss sich überlegen, was es für Strategien gibt. Und ganz gleich ob Reproduktionsmedizin oder Adoption: Da verschiebt sich etwas, das sonst mit Lust und Körper zu tun hat, auf die Ebene des Kalküls. Man muss einen Plan machen und bestimmte Schritte gehen. Ein Adoptionsverfahren zum Beispiel bedeutet wahnsinnigen bürokratischen Aufwand.
Dabei scheint Kinderkriegen die natürlichste Sache der Welt. Macht das die Scham so groß?
Viele Paare, die Reproduktionsmedizin in Anspruch nehmen, reden nicht darüber, weil sie sich für ihr Unvermögen schämen. Und man hat das Gefühl, man sollte das wegstecken können. Es ist einem peinlich, dass dieser Wunsch in der eigenen Vorstellung zu so etwas Großem heranwächst.
Studien zufolge gibt es zwei Millionen Paare in Deutschland, die auf natürlichem Weg keine Kinder kriegen können.
Und das sind nur die heterosexuellen Paare. Mir ist dieser Blick auf ungewollte Kinderlosigkeit zu eng. Einer Umfrage von 2007 zufolge haben 12,8 Millionen Menschen zwischen 25 und 59 Jahren einen unerfüllten Kinderwunsch. Homosexuelle Paare und Alleinstehende sind in der öffentlichen Diskussion unsichtbar. Dabei ist es genauso schmerzhaft, wenn man sich ein Kind wünscht und keinen Partner hat.
Wie weit gehen Menschen, um ihre Sehnsucht zu erfüllen?