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Bildungsforscherin im Gespräch : „Krippe im ersten Lebensjahr? - Nein!“

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Nicht ohne meinen Schnulli – auch in der Kita Bild: picture alliance / dpa

Wie viel und welche Betreuung ist gut für mein Kind? Bildungsforscherin Fabienne Becker-Stoll erklärt Eltern, worauf sie achten sollten - und wie es um die Qualität deutscher Kitas bestellt ist.

          7 Min.

          Frau Becker-Stoll, stellen Sie sich vor, Ihr jüngstes Kind würde diesen Sommer ein Jahr alt und Sie müssten nach der Elternzeit in den Beruf zurück, nämlich das Staatsinstitut für Frühpädagogik in München leiten. Was würden Sie tun?

          Ich hätte mein Kind schon länger in verschiedenen Kindertageseinrichtungen hier in München angemeldet, bekäme hoffentlich einen Platz und würde dann bei der Eingewöhnung sehen, ob das einigermaßen funktioniert.

          Heißt das, ich kann mein Kleinkind in Deutschland in eine Krippe geben, ohne mir Sorgen zu machen?

          Das würde ich so sagen.

          Einer nationalen Untersuchung zufolge, an der Sie mitgewirkt haben, sind achtzig Prozent der Einrichtungen nur von mittelmäßiger Qualität.

          Das reicht natürlich nicht. Und um noch einmal auf Ihr Beispiel zurückzukommen: Ich würde für mein Kind eine reine Krippe bevorzugen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die größten Herausforderungen dort bestehen, wo sich ein klassischer Kindergarten für Unter-Dreijährige geöffnet hat. In reinen Kinderkrippen und reinen Kindergärten ist die Qualität besser als in den altersgemischten Gruppen.

          Jahrelang haben wir über die Zahl der Betreuungsplätze für die Kleinsten diskutiert. Jetzt, ein Jahr nach Einführung des Rechtsanspruchs, jammern alle, dass die Qualität nicht ausreicht.

          Genau.

          Dann ist doch dieser ganze Ausbau unverantwortlich!

          Ich würde es so sagen: Wir haben eine Riesenanstrengung gemacht, die Plätze auszubauen. Jetzt müssen wir uns doppelt so sehr anstrengen, um die Qualität weiterzuentwickeln und zu sichern.

          Für junge Eltern ist das ein Dilemma. Die Mütter wollen und sollen möglichst schnell wieder in den Beruf, die Betreuungsplätze sind sogar da. Aber sie können nicht sicher sein: Geht es meinem Kind da wirklich gut?

          Eltern sollten darauf achten, dass es in der Einrichtung standardmäßig eine vier- bis sechswöchige Eingewöhnung gibt. In dieser Phase bekommt man sehr viel mit, Sie sind da viele Stunden und Tage mit dabei und sehen, was läuft.

          Und woran merke ich, dass es sich um eine gute Krippe handelt?

          Daran, dass es ruhig und entspannt ist. Dass keine Kinder weinen, ohne getröstet zu werden. Die Kinder werden angelächelt. Und wenn ein Kind vormittags müde wird und eine Pause braucht, kriegt es die auch. Wenn eine fröhliche, angenehme Atmosphäre herrscht und ich als Mutter oder Vater komme da rein und denke, ach, jetzt würde ich mit meinem Kind eigentlich gerne noch länger bleiben - dann habe ich die richtige Einrichtung gefunden.

          Wie viele solcher Kitas gibt es?

          Etwa ein Drittel. Je mehr es den Mitarbeitern gelingt, auf die individuellen Bedürfnisse der kleinen Kinder liebevoll und prompt und angemessen zu reagieren, desto besser ist die Einrichtung. Das hat zunächst gar nichts mit Bildung im engeren Sinne zu tun.

          Ich dachte, wir reden seit Jahren über nichts anderes als über frühkindliche Bildung!

          Lernen ist in diesem Alter aber nur möglich, wenn das Kind sich in einer emotionalen Beziehung geborgen fühlt.

          Haben dann nicht doch die Krippengegner recht, die sagen, der beste Platz für ein Kind sei daheim bei Mama oder Papa?

          Da können wir Entwicklungspsychologen nicht zustimmen. Wenn Eltern sich das so wünschen und es gut einrichten können - keine Frage. Aber ab zwei, zweieinhalb Jahren brauchen Kinder andere Kinder. Dieses „Nur bei Mama“ ist ein Konstrukt unserer heutigen Gesellschaft. Das gab es früher nicht. Da waren die Großfamilie, Geschwister, Großeltern, unverheiratete Tanten. Wichtig ist, dass diese Beziehungen nicht ständig abgebrochen werden. Aber die Möglichkeit, zu mehreren Personen vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen, ist für ein Kind grundsätzlich positiv.

          Was ist mit den Studien, die bei Krippenkindern deutlich erhöhte Stresswerte gemessen haben?

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