Event-Gesellschaft : Der Moment ist das Geschenk
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Motto einer Event-Gesellschaft: Feste feiern wie sie fallen. Bild: Jan-Hendrik Holst
Runde Geburtstage, Taufen und Hochzeiten: Auch private Feiern sind neuerdings organisatorische Großereignisse und Augenblicke fürs Leben. Einblicke in unsere Event-Gesellschaft.
Atemlos! Atemlos! Wenn der DJ jetzt noch „Atemlos“ von Helene Fischer spielen würde. Rund ein Dutzend der fünfzig Gäste, die Jonas Fichner (Anm. d. Red.: Name geändert) zu seinem dreißigsten Geburtstag für drei Tage nach Seefeld eingeladen hat, skandieren in einem Halbkreis um das Pult des DJs. Es ist eine Samstagnacht im Januar, längst nach zwei Uhr, und fast ein ganzes Wochenende Programm in Tirol liegt hinter der Gruppe: Stadtführung durch Innsbruck, Eisstockschießen in der Wintersonne, Fichners Empfang zum Abendessen im Gewölbesaal des besten Hotels im Ort mit anschließendem Shuttleservice in einen Dorfclub ohne Klimaanlage. Die Hitze beflügelt die Stimmung nur noch. Also rufen jetzt alle: „Atemlos! Atemlos!“ Irgendwann gibt der DJ nach.
Fichners Gäste scheinen nicht nur alle den gleichen Musikgeschmack zu haben, sie haben auch alle reichlich Weißwein, Rotwein, Glühwein und Wodka Tonic intus. Und sie sehen alle gleich aus. Die Frauen tragen Dirndl, die Männer Lederhosen. Und wer sich vorab gefragt hatte, ob dieser vorgegebene Dresscode tatsächlich nötig sei, ob nicht jeder so aussehen könne wie immer, weiß jetzt, wozu der doch gut ist. Er sorgt für Zusammenhalt.
Die Event-Gesellschaft mag Inszenierungen
Andererseits, wundert sich eigentlich noch jemand über Dresscode-Wünsche der Gastgeber? Jetzt, da private Feiern Großereignissen gleichen und an ganz besonderen Orten gefeiert werden, mit Save the Dates, die mehrere Monate im Voraus eintrudeln, und Einladungskarten, die von Grafik-Designern entworfen sind, während sich die Gäste schon an die Planung von Erinnerungsgeschenken machen: Kochbücher, Bücher mit Bildern und netten Anekdoten, Videos. Und es wird ja längst nicht mehr nur aus echtem Anlass gefeiert, sondern ebenso zur alternativen Taufe oder zweiten Eheschließung eingeladen. Auch atheistische Kinder sollen gebührend ins Leben aufgenommen werden, und nur weil eine große Hochzeit in den siebziger Jahren als spießig galt, heißt es nicht, dass man sie im Jahr 2015 nicht nachfeiern könnte. So richtig schön und festlich! Als hätten Gastgeber und Gäste nicht genug um die Ohren und als würden alle noch immer im selben Ort wohnen.
Aber vielleicht geht es bei all den Alltagsbelangen, bei all den Fernfreundschaften auch gar nicht ohne Event. In der Leistungsgesellschaft hat jeder Einzelne schließlich auch eine gewisse Sozialverantwortung, die Feste so zu feiern, wie sie fallen, und kann seine von weit hergereisten Gäste eben kaum ausschließlich auf 19 Uhr zu Bier und Grillwürstchen auf den kleinen Balkon bestellen.
Wie erfüllend es außerdem zum Beispiel sein kann, alle Gäste an einen besonderen Ort zu laden, sich ein Konzept zu überlegen und das dann ein ganzes Wochenende lang auszukosten, sieht man jetzt an dem Bild auf der Tanzfläche von Jonas Fichners Tirol-Party. Er selbst kommt ursprünglich aus der Gegend, wohnt allerdings seit Jahren in Paris, hat von dort seine neuen Freunde mitgebracht, die hier seine alten aus der Kindheit und Jugend treffen, und zwischendrin tanzt ein Haufen Deutscher, mit denen er studiert hat. Wenn das Leben immer so schön wäre. Die Event-Gesellschaft, in der wir heute leben, die uns vom Facebook-Post bis zum Public Viewing begleitet, lässt einen das eigene Dasein für Momente so gestalten, wie man es am liebsten hätte.