Deutscher ESC-Vorentscheid : Glam-Rock statt Ballermann für Liverpool
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Bei den Zuschauern kam Lord of the Lost am besten an. Bild: Rolf Vennenbernd/dpa
Die Hamburger Band Lord of the Lost vertritt Deutschland beim Eurovision Song Contest. Sie setzte sich mit „Blood & Glitter“ klar gegen Ikke Hüftgold durch. Und das nicht nur beim Publikum.
Die gute Nachricht vorweg: Ikke Hüftgold vertritt Deutschland nicht im Finale des Eurovision Song Contest (ESC) in Liverpool. Die Kunstfigur vom Ballermann, die den ESC retten wollte, als Quereinsteiger, oder wie er es sagte, als „unerwünschter Besucher beim NDR“, der über TikTok in den deutschen Vorentscheid eingezogen war, mit 52 Prozent Zustimmung, fiel erst bei den Jurys durch und dann auch beim Publikum. Das wählte ihn am Ende aber immerhin noch auf Platz zwei. Was – leider – zu erwarten war.
Selbstironie hin oder her: Mit seinem „Lied mit gutem Text“, eine Antwort auch auf den so umstrittenen, von Ikke Hüftgolds Label Summerfield Records produzierten Song „Layla“ von DJ Robin & Schürze, hatte Matthias Distel, wie der Sänger eigentlich heißt, die partyschlagerverliebte Schunkelnation Deutschland auf seiner Seite. Zumindest fast: Egal ob im Karneval („Blotwoosch, Kölsch un e lecker Mädche“) oder auf dem Volksfest („Die schöne Layla, die geile Layla / Das Luder Layla, unsre Layla“), woke und politisch korrekt muss es beim Feiern ja nun wirklich nicht sein.
Wie gut, vielmehr wie schlecht sich so ein Lied fast ohne Text („La La La La – La La La La“) bei einem internationalen Wettbewerb gemacht hätte, ließ sich am Freitagabend in den MMC Studios in Köln schon erahnen. Denn die acht Jurys aus acht ESC-Nationen (Schweiz, Niederlande, Finnland, Spanien, Litauen, Ukraine, Österreich und Vereinigtes Königreich) sahen den Spaßbeitrag auf dem allerletzten Platz.
Beeindruckende Bühnenshow
Haushoch gewonnen aber hat die Gothic-Metal-Rockband Lord of the Lost aus St. Pauli. Mit 43 Punkten lagen die Musiker um Sänger Chris Harms bei den Juroren noch auf dem fünften Platz. Die 146 Punkte vom deutschen Publikum katapultierten sie dann aber uneinholbar auf den ersten.
Ihnen kam die jahrelange Bühnenerfahrung auch an diesem Abend zugute. Selbst wer ihr Lied „Blood & Glitter“ nicht mag, weil’s zu rockig, zu metal oder zu düster ist. Die Inszenierung war nahezu perfekt, vom roten Lack und Leder über Make-up bis hin zu den Kameraschnitten und der Pyrotechnik.
Das zahlt sich aus, genau darum geht es, auch am 13. Mai beim ESC-Finale in Liverpool: Man muss liefern können, eine fehlerfreie Performance, die bis ins kleinste Detail sitzt. Denn schließlich will man hier einen Wettbewerb gewinnen.
Das scheint auch der NDR verstanden zu haben. Der Abend war, abgesehen von Moderatorin Barbara Schöneberger, die sich allzu viele Jahre nun schon an ihren immer gleichen Schlüpfrigkeiten selbst ergötzt, insgesamt sehr gelungen. So waren die Auftritte aller acht Kandidaten – die Band Frida Gold musste krankheitsbedingt kurzfristig absagen – erstmals alle komplett durchinszeniert. Gut auch die Idee, die deutschen Beiträge international auf den Prüfstand zu stellen. Das Urteil der Jurys floss zu 50 Prozent in die Wertung ein.
Singen können sie alle
Geradezu großartig der Schluss, als alle Beteiligten ein vierminütiges Medley der schönsten ESC-Lieder sangen: von „Merci Chérie“ über „Arcade“, „Satellite“ und „Heroes“ bis hin zu „Save Your Kisses For Me“, „Euphoria“, „Dancing Lasha Tumbai“ und „Rise Like A Phoenix“. Da zeigte sich: Singen können sie alle. Doch das allein reicht eben nicht.