Eurovision Song Contest : Fleischfresser unter Vegetariern
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Kaum hatten die sechs Anzugträger aus Litauen den sogenannten Green Room verlassen, den Raum, in dem die Künstler so lange ausharren müssen, bis der Gewinner des Abends feststeht, da zündeten sie sich auch schon dicke Zigarren an und führten Freudentänze auf. „We are the winners of Eurovision“ schallte ihr Lied durch die Flure hinter der Bühne. Dem konnte sich keiner entziehen: Eddie Butler aus Israel (vier Punkte, Platz 23) schaute vorbei, Anna Vissi, die in Griechenland wie eine Göttin verehrt wird (128 Punkte, Platz neun), kam, um zu gratulieren, und selbst die Schwedin Carola (170 Punkte, Platz fünf), die 1991 ganz knapp den Grand Prix gewonnen hatte, winkte den Jubelnden huldvoll im Vorbeigehen zu. Still wurde es erst, als Mr. Lordi zum Mikrofon griff und dem Spuk ein Ende bereitete: „We are the winners of Eurovision“, stellte er klar und imitierte dabei den mehr gebrüllten, als gesungenen Stil der litauischen Gruppe „Lt united“. Aus seinem Gummimund klang das zwar leicht bedrohlich, es war aber zugleich auch eine Verheißung.
Das wider erwarten sehr erfolgreiche Lied der Litauer (162 Punkte, Platz sechs) könnte zur Siegeshymne der nächsten Grand-Prix-Jahre werden - so wie es in Fußballstadien der Queens-Song „We Are The Champions“ ist. Ob dem Song der Finnen, „Hard Rock Hallelujah“, eine lange Lebensdauer beschieden ist, mag man allerdings bezweifeln. „Evergreen“-Qualitäten hat das Lied nicht. Das ahnt wohl auch Mr. Lordi, Frontmann der nach ihm benannten finnischen Gruppe Lordi. „Wir gehören einer Minderheit an“, sagte er am frühen Sonntag morgen, kurz nachdem er die Bühne der Athener Olympiahalle verlassen hatte. Nicht etwa, weil es ihre Bestimmung sei, sich als Monster im Alltag zurechtfinden zu müssen, sondern weil sie sich mit Rockmusik zu einem Schlager- und Popwettbewerb gewagt hätten. „Wir sind wie Fleischfresser in einem vegetarischen Restaurant.“
Lordi auch ohne Nachbarschaftshilfe erfolgreich
Auch wenn beim „Eurovision Song Contest“ (ESC) schon lange nicht mehr echte Chansons zu hören sind - es gab in diesem Jahr Reggae- und Rap-Einlagen, und Dänemark versuchte sich an einer Art Country-Twist -, so hat Lordi doch erstmals mit wirklichem Rock, wenn auch keinem Hardrock, den Grand Prix überlegen gewonnen. „Das war ein Sieg für die Rockmusik“, bestätigte Mr. Lordi. „Und es zeigt, wie offen die Eurovision-Fans sind. Ich hoffe, daß wir damit Musikern in ganz Europa Mut gemacht haben.“
Lordis Sieg zeichnete sich während der aus den 38 teilnehmenden Ländern abgerufenen Punktevergabe schon früh ab. Insgesamt achtmal bekamen die Finnen die Höchstpunktzahl zwölf, sechsmal waren es zehn (unter anderem aus Deutschland) und sechsmal acht Punkte. Nur aus drei Ländern (vier, wenn man Finnland, das natürlich nicht für sich selbst stimmen kann, hinzurechnet) erhielten sie keine Punkte, mehrheitlich aber zwischen sechs und acht Punkten. Lordi hat eindeutig, ja überwältigend gewonnen. Das war kein Ausrutscher, kein manipulierter Entscheid: Selbst die beim Grand Prix im Norden übliche Nachbarschaftshilfe (jeweils zwölf Punkte erhielt Lordi aus Schweden, Norwegen, Dänemark, Island und Estland) hätte dieses Ergebnis alleine nicht herbeiführen können.
Die Großen Vier spielen keine Rolle