Gift in Lebensmitteln : Sind Erpresser Narzissten oder Glücksritter?
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Tatort Einzehandel: Kann man der Ware noch trauen? Bild: dpa
Noch ist der Erpresser nicht gefasst, der Lebensmittel in Friedrichshafen vergiftet hat. Dabei ist diese Art der Kriminalität gar nicht so selten, wie man hoffen könnte. Doch dieser Fall fällt aus dem Raster.
Die sieben bis zehn größten deutschen Lebensmittelunternehmen werden wöchentlich etwa 30 bis 40 Mal erpresst. Das geht aus Erhebungen des Krisennavigators hervor, eines Ablegers der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Das Forschungs- und Beratungsinstitut unterstützt Unternehmen in Erpressungsfällen und tauscht sich dabei regelmäßig mit der Polizei aus.
Branchenübergreifend gingen im vergangenen Jahr laut Polizeilicher Kriminalstatistik wöchentlich sogar 150 Erpressungen bei Unternehmen ein. „Die wenigsten Fälle werden überhaupt öffentlich“, sagte Frank Roselieb, Direktor des Krisennavigators. Bis zu einem Viertel der Täter gebe nach einem ersten Erpressungsversuch auf, ohne die Drohung wahr zu machen. Andere gingen nach der Drohung dazu über, ein einzelnes vergiftetes Produkt zu plazieren. „Diese Tätergruppe setzt eine Marke, um ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen“, sagt Roselieb. Die meisten ließen aber spätestens dann von der Erpressung ab. Ein Drittel derjenigen, die es nicht bei einer Drohung beließen, bleibe hartnäckig und nehme Kontakt zur Polizei auf.
Den aktuellen Erpressungsfall findet Roselieb höchst merkwürdig, vor allem angesichts der länderübergreifenden Drohung. „Dass ein Täter eine internationale Liste betroffener Unternehmen anfertigt, hat es so noch nicht gegeben“, sagte er. In der Regel versuchten es Erpresser zunächst bei einem Unternehmen und erst nach einem Misserfolg bei einem anderen. Serienbriefe seien demgegenüber das Dümmste, was man machen könne. Roselieb hält den Täter auch in anderer Hinsicht für einen Dilettanten: Profis wendeten sich, allein wegen der Kameraüberwachung in Supermärkten, eher an die Hersteller. Die Lage im aktuellen Fall sei zwar dennoch ernst zu nehmen. Für besonders skrupellos, wie die Polizei Konstanz den Erpresser beschreibt, hält Roselieb den Täter aber nicht. „Er hat die vergifteten Gläschen immerhin erst am Samstagnachmittag plaziert und anschließend das Erpresserschreiben abgeschickt.“ Die Produkte konnten so rechtzeitig vor der nächsten Ladenöffnung gesichert werden.
Die Erfolgsquote für Erpressungen liegt laut Krisennavigator insgesamt bei weniger als zehn Prozent. Spätestens bei der Geldübergabe scheitern die meisten Fälle. Selbst wenn sie zustande kommt, können die Täter mit der Beute in der Regel wenig anfangen: Geldscheine seien meistens markiert, Western-Union-Überweisungen scheitern laut Roselieb an der Höhe des geforderten Betrags, und auch Bitcoins ließen sich nicht weiterverwerten.
Warum versuchen es dennoch so viele? Kriminologen wie Christian Pfeiffer oder Rudolf Egg meinen, eine besondere Persönlichkeitsstruktur liefere die Erklärung. Erpressern gehe es darum, Macht auszuüben. Häufig handele es sich um gescheiterte Existenzen, die Beachtung suchten. Roselieb spricht dagegen von „Glücksrittern, die glauben, mit wenig Aufwand an viel Geld zu kommen“. Wer narzisstisch sei und sich brüsten wolle, suche den direkten Weg in die Öffentlichkeit.