Musikstück : Wenn der Muezzin dreimal ruft
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Missverstandener Musiker: Maximilian Marcoll Bild: Jens Gyarmaty
Der Komponist Maximilian Marcoll fühlt sich missverstanden. Sein Werk „Adhan“ soll mit muslimischen Gebetsrufen eine brüderliche Verständigung zum Islam herstellen. Doch niemand will das kontroverse Musikstück spielen.
Wenn das Musikstück „Adhan“ von Maximilian Marcoll erklingt, denkt man im allerersten Moment: Filmmusik. So pathetisch beginnt es. Ein sanfter Bass-Gesang und jubilierende Glocken, unterlegt von dem archaischen Ruf eines Horns. „Das Pathos kommt aber nicht von mir“, sagt Marcoll. „Das ist in dem Material schon drin.“ Denn das Material, das der 36 Jahre Komponist verwendet, ist der Gesang eines Muezzins, der die Gläubigen auf Arabisch zum Gebet ruft. Die Melodie wird gedoppelt von dem Glockenspiel und begleitet von einem Schofar-Horn, so wie es sonst nur in der jüdischen Liturgie geblasen wird.
Bloß: Marcolls Stück erklingt fast nie. Noch nie ist es auf einem Carillon, also einem großen Glockenspiel im Freien, gespielt worden. Es gibt bloß die Aufnahme eine Innenraumversion. Denn vielen, die es aufführen könnten, ist der islamische Bezug zu heikel. Die Uraufführung an Pfingsten 2015 im Berliner Tiergarten wurde kurzfristig abgesagt, weil der dafür eingesetzte Carilloneur sich vor den Reaktionen fürchtete. Glocken und Muezzin wären sonst unter Umständen noch an Kanzleramt und Hauptbahnhof zu hören gewesen. Passanten hätten erfahren können, wie ähnlich sich Muezzinruf und Glocken in ihrer Funktion sind – und wie harmonisch sie zusammen klingen.
An Pfingsten 2017 nun sollte das Stück europaweit aufgeführt werden. In einem Projekt, unterstützt von SWR, Deutschlandradio Kultur und der Initiative Neue Musik Berlin. Bei 350 Carillons in 18 Ländern stellte Marcoll seine Idee vor. Doch keines sagte zu. „Ich werde nicht etwas spielen, was mit dem Islam in Verbindung steht“, heißt es in einer Absage. Andere schreiben, dass ihre Einrichtung für „Menschen aller Bekenntnisse“ sei und man das Stück daher nicht spielen könne.
„Ein Bruderkuss der abrahamitischen Religionen“
Marcoll und seine Unterstützter können verstehen, dass das Stück nicht spielen möchte, wer die Botschaft nicht teilt. Bloß: Wie könne man die so missverstehen? Es sei „ein Bruderkuss der abrahamitischen Religionen“, sagt Thomas Noll, der als Organist die Innenraumversion gespielt hat. Bei vielen war es aber gar keine Ablehnung des Stücks, sondern bloß die Angst vor Ablehnung. Man könne den notwendigen Aufwand an Öffentlichkeitsarbeit nicht leisten, hieß es. Man wolle keine „politische Provokation“ in der Stadt. Und so wird „Adhan“ an diesem Pfingstsonntag bloß im Innenraum vor einem Konzertpublikum erklingen. In der Kirche zum Heilsbronnen in Berlin-Schöneberg von 18 bis 22 Uhr, alle zwanzig Minuten.
Der Grund, warum „Adhan“ wieder nicht öffentlich aufgeführt werde, sei eigentlich genau der Grund, weswegen er das Stück geschrieben habe, sagt Marcoll. „Diese blöde, diffuse Angst – weil sich keiner traut, sich mit dem Thema zu beschäftigen.“