DDR : Generation Ost-Golf
- -Aktualisiert am

Ohne den Westen ging es nicht mehr: Der Golf war im Lande, niemand mochte mehr Trabant fahren Bild: ASSOCIATED PRESS
Vor 30 Jahren kamen die ersten West-Autos in die DDR. 10.000 Golfs rollten von Wolfsburg nach drüben. Das SED-Politbüro freute sich über „äußerst günstige kommerzielle Bedingungen“. Seither hält sich das Gerücht, die DDR habe mit Thüringer Bratwürsten bezahlt.
Die Ferien in der DDR begannen mit Strichlisten. Kaum war man auf gar nicht so großer Fahrt ins Harzrügenelbsandsteingebirgeland und der graue Trabant hatte die schlaglochübersäte Autobahn erreicht, gab es auf dem Rücksitz kein größeres Vergnügen, als die lässig vorbeipfeifenden West-Wagen zu zählen. Wer den Jungssport besonders ernst nahm, der notierte gleich noch Farbe, Typ und Kennzeichen.
Die Herkunftsstadt ließ sich aus einem Uraltkalender der Commerzbank ermitteln: Kennst du Lehrte? Wo ist denn Gevelsberg? Mit einem Seufzer wurden die Schlitten schließlich zusammengezählt und mit der Vorjahresstatistik verglichen. 1978 geriet die Strichliste durcheinander, denn plötzlich tauchten Golfs mit Ost-Nummernschildern auf. Auf einmal kannte jeder einen, der sich nicht mehr aus Zwickau, sondern aus Wolfsburg beliefern ließ. Jetzt hieß es: Darf ich mal mitfahren?
SED-Politbüro: „Äußerst günstige kommerzielle Bedingungen“
Im Dezember 1977 titelte die Mitarbeiterzeitschrift des Volkswagenwerks in Wolfsburg, die ernsthaft den Namen „Autogramm“ im Kopf führte: „10.000 Golf für die DDR“. Der Konzern war mit dem „VE Außenhandel Transportmaschinen Export und Import“ in Ost-Berlin handelseinig geworden, und am 13. Januar 1978 rollte der erste Zug mit 200 Autos über die innerdeutsche Grenze. Sogar die „Tagesschau“ berichtete vom Bahnsteig!
Das SED-Politbüro freute sich in geheimen Papieren, dass der VW-Konzern „äußerst günstige kommerzielle Bedingungen“ eingeräumt hatte. Umgekehrt hatte die Wolfsburger Unternehmensspitze Dollarzeichen in den Augen. Manfred Grieger, der bei VW die Historische Kommunikation verantwortet, berichtet: „Man sah die Möglichkeit des Marktzutritts zu einem bis dahin unerreichbaren Absatzgebiet. Und das Auftragsvolumen entsprach immerhin drei Produktionstagen des Wolfsburger Werks.“
Thüringer Bratwürste als Bezahlung
Die Autokrise legte eine Pause ein, der Golf wurde fortan zum deutsch-deutschen Gefährt. Bis zum Juli 1979 rollten immer weitere Züge in die DDR. Volkswagen bekam dafür vom chronisch devisenschwachen Honecker-Staat aber keineswegs harte D-Mark, sondern Pressen, Werkzeugmaschinen und sogar ein Planetarium zum vierzigsten Stadtjubiläum von Wolfsburg. Bis heute hält sich das Gerücht, die DDR habe damals auch in Naturalien bezahlt und die VW-Kantine mit Thüringer Bratwürsten versorgt.
Für die DDR hatte das Geschäft mit den West-Autos auch eine politische Note. Während die SED-Oberen nach der Biermann-Krise versuchten, Intellektuelle mit Volvo, Citroën oder Peugeot gefügig zu machen, sollte der Golf den kleinen Mann mit ordentlichem Sparguthaben im Lande halten. Später wurde auch noch der japanische Mazda als Lockmittel eingesetzt. Aber die Golf-Importzahlen blieben unübertroffen.
International klingende Farbpalette für die Eingeschlossenen
Für André Steiner, Professor am Zentrum für Zeithistorische Forschung der Universität Potsdam, ging es der DDR mit dem Golf-Geschäft zuvörderst darum, Kaufkraft abzuschöpfen: „Zugleich wollte die Honecker-Führung wohl auch das Angebot durch Import modernisieren. Schließlich strebte sie eine Art Konsumsozialismus an, der auch im Angebot eine gewisse Attraktivität zeigen sollte und damit dem westlichen Konkurrenten Bundesrepublik auch etwas entgegensetzen konnte.“ Die Entspannung begünstigte solche Geschäfte. Zur gleichen Zeit eröffneten Exquisit- und Delikat-Geschäfte, in denen man sich zu gepfefferten Preisen ordentlich ernähren und anziehen konnte.
Ob ironische Absicht oder nicht: VW wählte für die DDR-Autos eine international klingende Farbpalette und präsentierte den Eingeschlossenen ausgerechnet Wagen in Manilagrün, Miamiblau, Panamabraun, Dakotabeige und Malagarot. Zu wählen war zwischen Benziner und Diesel, 50 oder 75 PS. Was der Ost-Golf kosten sollte, damit wollte man in Wolfsburg nichts zu tun haben. Das war allein Sache der DDR, und die kassierte ordentlich ab: Zwischen 27.000 und 31.500 Ost-Mark verlangte man für die seltene Ware - Schwarzmarktpreise noch darüber. So notiert es die Stasi-Hauptabteilung XVIII, die die Volkswirtschaft im Blick hatte. Aus den Akten geht hervor, dass DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski der Meinung war, „die Bezüge von Volkswagen über die 10.000 Stck. hinaus weiterzuführen. Es müsse ernsthaft geprüft werden, ob die DDR nicht beim Volkswagen-Konzern eine Lizenz für den Bau von Pkw nehmen solle.“